Auch ein Verein
Fünf Kunstjünger
Sind deine Finger,
Gar feine, gescheidte
Manierliche Leute,
Gelehrig und biegsam,
Gefällig und schmiegsam,
Der Arbeit zu dienen
Ein schöner Verein,
Ob jeder von ihnen
Auch für sich allein.
Doch wenn sie sich rotten
Und ballen zum Knäuel,
Der Sitte zu spotten,
Der Satzung und Regel;
Dann wird draus, – o Gräuel,
Vor dem dir graust!
Ein grober Flegel:
Die Faust!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Auch ein Verein“ von Anastasius Grün behandelt auf humorvolle und doch lehrreiche Weise das Thema der individuellen Stärken und der potenziellen negativen Auswirkungen von Gruppenzwang. Der Titel selbst, der an die Gründung eines Vereins erinnert, deutet bereits auf die Thematik der Zusammenarbeit und der möglichen Konflikte hin. Die ersten acht Verse loben die einzelnen „Kunstjünger“, also die fünf Finger, als „feine, gescheidte“ und „manierliche Leute“, die durch ihre „Gelehrigkeit“ und „Schmiegsamkeit“ ideale Diener der Arbeit sind. Dies unterstreicht die positiven Aspekte des Einzelnen und die Effizienz, die durch individuelle Fähigkeiten erzielt werden kann. Der Autor stellt hier die Finger als eigenständige Einheiten dar, die jeweils ihre spezifischen Vorzüge haben.
Die zweite Hälfte des Gedichts kippt die positive Darstellung ins Gegenteil. Die Idylle der individuellen Leistung wird durch die Metamorphose der Finger, wenn sie sich zu einer „Faust“ vereinen, zerstört. Der Autor beschreibt die negativen Folgen der Gruppenbildung, wenn die Finger „sich rotten“ und „zum Knäuel ballen“. In diesem Zustand, der dem Zusammenschluss eines Vereins ähnelt, missachten sie „der Sitte“ und „der Satzung und Regel“. Diese Zeilen deuten auf die Gefahr des Verlusts von Individualität und die potenzielle Zerstörung von Ordnung und Moral, wenn sich Einzelne in der Masse verlieren. Die Faust wird hier als Symbol der rohen Gewalt und des ungezügelten Verhaltens dargestellt, die durch die Gruppendynamik entstehen kann.
Die Pointe des Gedichts liegt in der Überraschung und der drastischen Veränderung, die durch die Metamorphose vom Individuum zum Kollektiv eintritt. Das Wort „Gräuel“ verstärkt die negative Konnotation der Faust und des daraus resultierenden groben Verhaltens. Die abschließende Zeile, „Die Faust!“, ist ein starkes Bild und eine Warnung vor den Gefahren, die entstehen können, wenn sich Individuen zu einer unkontrollierten Masse vereinen. Grün nutzt hier einen rhetorischen Kniff, um die Diskrepanz zwischen dem Potenzial der Einzelteile und der destruktiven Kraft des Ganzen zu verdeutlichen.
Die Botschaft des Gedichts ist vielschichtig und zeitlos. Es mahnt zur Vorsicht vor blinder Gefolgschaft und zur Bewahrung der eigenen Individualität. Gleichzeitig kritisiert es möglicherweise auch die Tendenz zur Gewalt und zum Chaos, die entstehen kann, wenn sich Menschen in Gruppen zusammenschließen und Regeln und Moralvorstellungen außer Acht lassen. Anastasius Grüns Gedicht ist somit eine humorvolle, aber tiefgründige Betrachtung der menschlichen Natur und der Komplexität von individueller Freiheit und kollektivem Handeln.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.