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Der Seeadler

Von

Wob, König der Lüfte, für deinen Flug
Der Sturm dir die Schwingen, die weißen,
Daß sie geschwind, wie ein Atemzug,
Vom Meer gen Himmel dich reißen?
Hat dir die Sonne das Auge gefeit,
Daß du nicht droben erblindest,
Wenn du in blauer Unendlichkeit
Dem Sehrohr selber entschwindest?

Hoch, hoch, wo der Alpen mächtigste Piks
In Dämmernebel verschwinden,
Hinunter spähst du leuchtenden Blicks
Zu des Weltalls gähnenden Schlünden;
Und siehst von deiner himmlischen Wacht
Jenseits von der Erde Grenzen
Den Tag, der Abend nicht kennt noch Nacht,
Den unvergänglichen glänzen.

Wenn wirbelnd daher das Gewitter saust
Und aus unterstem Oceane
Die Flut aufpeitscht, daß sie himmelan braust,
Wiegst du dich auf dem Orkane;
Und ob in den Wellen, zu Bergen getürmt,
Auch ganze Flotten versinken,
Du jubelst, wo es am wildesten stürmt,
Der Windsbraut Odem zu trinken.

Das Frührot bleibt, das purpurnen Saums
Aufsteigt ob Meeren und Ländern,
Matt hinter dir, Beherrscher des Raums,
Zurück an den Himmelsrändern;
Ans Nordkap hörtest du wilden Schlags
Bei Nacht die Wogen noch branden
Und grüßest den Strahl des werdenden Tags
Schon hoch vom Gipfel der Anden.

Wie dir – o lang versunkene Zeit! –
Einst wollte zu ihren Flügen
Des Raumes weite Unendlichkeit
Kaum meiner Seele genügen;
Nun seufzt sie, gebeugt vom niederen Joch,
In des Lebens finsterer Enge;
Ach! daß sie nur einmal jubelnd noch
In den leuchtenden Aether sich schwänge!

In durstigen Zügen, voll und stark,
Die Luft des Himmels zu schlürfen,
Hinab zu der Schöpfung entlegenster Mark
Die Blicke senden zu dürfen –
O Adler! dir neid′ ich den seligen Tod,
Der dir dort oben bereitet,
Wenn die ewige Sonne ihr glühendes Rot
Um die brechenden Schwingen dir breitet!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Seeadler von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Seeadler“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine Hommage an die Freiheit, die Unabhängigkeit und die grenzenlose Perspektive, die der namensgebende Seeadler verkörpert. Es zeichnet ein eindrucksvolles Bild von der majestätischen Figur, die hoch über den Naturgewalten thront und die Welt aus einer überlegenen Position betrachtet. Die ersten drei Strophen beschreiben die physischen Fähigkeiten des Adlers, seine Beherrschung der Elemente und seine Fähigkeit, die Welt aus einer erhabenen Perspektive zu betrachten. Diese Strophen etablieren das Bild eines Wesens, das frei von den Beschränkungen der Erde ist.

In der vierten Strophe wird die Fähigkeit des Adlers hervorgehoben, über die Grenzen von Raum und Zeit hinaus zu blicken. Der Adler, der das Frührot an den Himmelsrändern hinter sich lässt, scheint an verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein, von den eisigen Wogen des Nordkaps bis zu den sonnigen Gipfeln der Anden. Dies unterstreicht die Allgegenwart des Adlers und seine Fähigkeit, die Welt in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Diese erweiterte Perspektive wird zum zentralen Thema des Gedichts und repräsentiert die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach Freiheit und Ungebundenheit.

Die fünfte Strophe offenbart die persönliche Komponente des Gedichts. Hier vergleicht der Dichter seine eigene, eingeschränkte Existenz mit der Freiheit des Adlers. Die „weite Unendlichkeit des Raumes“ genügte einst der Seele des Dichters, doch nun seufzt sie „gebeugt vom niederen Joch“ des Lebens. Der Wunsch nach einer Rückkehr in die Freiheit, nach dem Schweben im „leuchtenden Aether“, wird deutlich artikuliert. Die Sehnsucht nach der grenzenlosen Perspektive des Adlers wird zur Sehnsucht nach einem Leben, das frei von den Begrenzungen der menschlichen Existenz ist.

In der letzten Strophe erreicht diese Sehnsucht ihren Höhepunkt. Der Dichter beneidet den Adler um seinen „seligen Tod“, der ihn in die unendliche Weite des Himmels zurückkehren lässt, wo die „ewige Sonne“ seine Schwingen in „glühendes Rot“ taucht. Dieser Tod wird hier nicht als Ende, sondern als Vollendung der Freiheit gesehen, als Rückkehr in den unendlichen Raum, nach dem sich das lyrische Ich sehnt. Das Gedicht ist somit eine melancholische Reflexion über die menschliche Beschränktheit und ein Loblied auf die Freiheit, die nur der Adler vollends erfährt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.