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Aus Gastein

Von

Es wäre Schlafenszeit; – doch das ist schlimm,
Nicht schlafen läßt mich hier der Ache Grimm,
Grad’ unterm Fenster schlägt ihr Katarakt
Auf Felsenpulte dröhnend seinen Takt!
Musik zur Unzeit! Was zu thun da sei?
Zu horchen wach der Räthselmelodei: –
Einförmig tost’s und doch so wechselvoll,
Wie Harfen jetzt, und jetzt wie Donnergroll!
Ist’s Wagenrasseln, das die Stadt durchrollt?
Ist’s Mühlgestampf, das täglich Brod dir zollt?
Sind’s Eisenhämmer, schmiedend Waffenerz?
Ist’s Orgelton jetzt, der dir schmilzt das Herz?
Nun Posthornklang, der dich zur Ferne reißt!
Nun Waldesrauschen, das dich bleiben heißt!
Nun Glockenschall, der fromm die Gläub’gen ruft!
Nun Trauermarsch, geleitend in die Gruft! –
Dem Leben gleich! Und Alles Staub und Schaum!
Doch sang’s dich unbewußt in Schlaf und Traum.

Du Geist der Ungeduld, mein Foltergeist,
Der mich zur schleun’gen Flucht kopfüber reißt,
Wenn auf die Wahlstatt des Salons zur Schlacht
Die Großmacht Langeweil’ ihr Heer gebracht,
Und mich des Wörterschwalles Katarakt
Wie Wassersturz und Strudel wirbelnd packt,
Mit mir zur Felsschlucht komm, unholder Gast,
Sieh hin, dann hebe dich von mir in Hast!
Auch hier ein wasserreicher Katarakt,
Der, niedertosend, mich mit Schwindel packt
Und sinnbetäubend braust und dröhnt und zischt!
Doch unterm Fluthgebraus schleicht unvermischt
Im eh’rnen Rohr ein Heilquell warm und mild,
Uns sichtbar kaum, der Schmerz und Leiden stillt
Der sieche Leiber fromm zu kräft’gen eilt
Und jetzt, ein Seelenarzt, mein Herz geheilt.
Ich ahn’ es, traun, im Wortgesprudelstrom
Fließt dort auch manch ein Heilborn einsam fromm,
Manch Wort, das welke Herzen wieder jüngt,
Manch Wort, das müde Seelen frei beschwingt,
Manch Wort heilkräft’gen Geists, liebvoller Huld:
O lehre finden mich’s, Geist der Geduld!

Tritt ruhmbekrönten Größen nicht zu nah!
Sie sind den Alpen gleich, die vor uns stehn,
Am schönsten, größten, wenn von fern gesehn,
Im blauen Duft, in ihrem fernen Ruhme!
Der Formen Schönheit, die dich fern entzückt,
Löst sich in rauhe Massen, wirr zerstückt,
Wenn forschend du genaht dem Heiligthume;
Der Duftschmelz wird Gestein, das wund dich ritzt,
Und wird Gedörn, das Rock und Ferse schlitzt.
Das Auge des Geweihten nur erspäht
In dunkler Kluft die schöne Alpenblume;
Nur wer der Geister Liebling, den umweht,
Entschleiernd sich, des Berggeists Majestät.

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Gedicht: Aus Gastein von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aus Gastein“ von Anastasius Grün ist eine vielschichtige Reflexion über Natur, Kunst und die menschliche Erfahrung. Es beginnt mit der Beschreibung des tosenden Wasserfalls in Gastein, der den Sprecher vom Schlaf abhält und ihn in einen Zustand des Horchens versetzt. Der Katarakt wird als Metapher für verschiedene Aspekte des Lebens genutzt, von der vielfältigen Musik, die er erzeugt, bis hin zu den Herausforderungen und Freuden, die das Leben selbst bietet.

Im zweiten Teil wendet sich das Gedicht der Ungeduld zu, die als innerer „Foltergeist“ dargestellt wird. Der Sprecher vergleicht den Wasserfall mit dem „Wörterschwall“ in gesellschaftlichen Salons, der ihn überwältigt und dem er sich entziehen möchte. Doch im Gegensatz zum oberflächlichen Getöse der Gesellschaft, das ihn mit Schwindel packt, erkennt er im rauschenden Wasserfall auch die Existenz einer heilenden Quelle, die symbolisch für die Kraft der inneren Ruhe und des Heilens steht. Diese Beobachtung mündet in der Hoffnung, auch in der Flut des Wortes positive Elemente wie heilende Worte zu finden.

Der dritte Teil des Gedichts ist eine Warnung vor übermäßigem Streben nach Ruhm und Nähe zu großen Persönlichkeiten. Die Alpen dienen hier als Metapher für Berühmtheit und künstlerische Größe. Aus der Ferne betrachtet erscheinen die Berge majestätisch und schön, doch beim näheren Hinsehen lösen sich ihre Formen auf, und man trifft auf raue und schmerzhafte Realitäten. Die wahre Schönheit und der Geist der Alpen, so die Aussage, offenbaren sich nur denjenigen, die einen tieferen Zugang haben oder von den Geistern auserwählt sind.

Die zentrale Botschaft des Gedichts ist die Suche nach Balance und innerer Ruhe inmitten der Turbulenzen des Lebens. Der Wasserfall dient als Symbol für die Vielschichtigkeit der Welt, die sowohl überwältigende Kräfte als auch heilende Elemente birgt. Das Gedicht appelliert an die Geduld, die Fähigkeit, das Chaos zu betrachten und darin Schönheit, Sinn und Heilung zu finden.

Insgesamt ist „Aus Gastein“ ein komplexes und tiefgründiges Gedicht, das die Natur als Spiegel der menschlichen Seele nutzt. Es lädt dazu ein, die Welt mit wachen Augen zu betrachten, sich nicht von Oberflächlichkeiten blenden zu lassen und nach den verborgenen Quellen der Heilung und Erkenntnis zu suchen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.