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Aus dem Tagebuch eines Berliner Arbeiters

Von

Dännemärkerken.

Zu besiegen det marklose Dännemark,
Det war doch für uns en wahrer Quark,
Aber jejen drei oder vier Diplomaten
Sind wir sogleich – in die Tinte jerathen.
Man immer englisch.

Jetzt haben wir schon Konstaplersch hier
Janz nach de englische Manier;
Nu noch en adlijet Oberhaus,
Denn ha’n wir jespaßt, denn is et aus!
Mir scheint als wollten Die, die rejieren,
Unsre errung’ne Freiheit englisiren.
Det heeßt: die englische Krankheit jeb’n se uns jern,
Die Jesundheit von England halten se fern.
1 = 10.

An Deutschlands bald’ger 1heit
Da 2fle ich noch sehr;
Ick jebe keenen 3er
4 diese Hoffnung her.
5 Nationalitäten
Sind, wo 6 Deutsche stehn,
Die Alle abzu7,
Gebt 8, det wird nich jehn:
Viel sind dem 9 noch abhold
Vom Scheitel bis zum 10.
Zu Weihnachten.

Bis zu Weihnachten bau’n se an de Verfassungs-Pergamide:
Kinder, nu wird uns bescheert! Heißa, der Niklas is da!
Der Prophet.Mel.: Gieb, blanker Bruder, gieb uns Wein etc. Nu, Brüderken, noch eenen Schnaps,
Komm, Brüderken, schenk’ ein!
Denn krieg’ ick den prophet’schen Raps
Un werd’ Dir prophezeihn.
Du wirst et balde einjestehn,
Det ick der Klügste bin,
Drum merke Dir die Worte schön
Un ihren tiefen Sinn.
En König is en mächtjer Herr,
Bei Jott, ick sag’t nich jern;
Is eine Nußschaal’ jänzlich leer,
So hat sie keenen Kern.
Minister sind sehr kluge Leut,
Wenn sie recht weise sind;
En Wallfisch is in Wirklichkeit
Viel jrößer als en Stint.
En Fink’ is keene Nachtijall,
En Bäcker is keen Rath;
En Volk jehört fast überall
Ooch mit zu eenem Staat.
Charlottenburg is keen Berlin,
En Schweinestall keen Haus,
Un schickst Du wo en Ochsen rin,
En Ochs kommt wieder raus.
En Knecht, det is keen freier Mann,
En Lieutnant keen Cap’tain;
Wenn Eener nich mehr vorwärts kann,
Bleibt er gewöhnlich stehn.
En Reiter uf det hohe Pferd
Sieht über Andre weck;
Wer stets den Blick nach oben kehrt,
Fällt manchmal in den Dreck.
En Deputirter is en Mann,
Der sitzt bald rechts, bald links;
Wenn Eener jar nich reden kann,
Denn schweigt er schlechterdings.
En Junker dumm un liederlich
Bläht oft sich wie en Pfau;
Der Esel läßt das Schreien nich,
Wird er ooch alt un jrau.
An eene Lüje stickt man nich,
Det wär’ ooch sehr fatal,
Denn predigte keen Pfaffe nich
Mehr als en eenzig Mal.
Wer jar keen Jeld hat, der is arm,
Wer viel hat, der is reich;
Verschied’ne Herrn un Knechte sind
Nich Alle frei und jleich.
Wer eenen schweren Jeldsack drägt,
Der schreitet nich zu schnell,
Un wer sich in den Schatten legt,
Dem is de Sonn’ zu hell.
Wer uf de frommen Fürsten baut,
Det is en frommer Christ;
En Huhn, wat sich dem Fuchs vertraut,
Det weeß nich, wat der frißt.
Constabler. Tret’ ick des Morjens aus det Haus,
Bejejent mir ’n Constabler!
Un kaum bin ick zehn Schritte raus,
So komm’n en Paar Constabler!!
Bis zu der Arbeetsstelle hin
Seh’ ick noch drei Constabler!!!
Un wenn ick anjekommen bin
Da find’ ick vier Constabler!!!!
Jeh’ ick det Abends wieder fort,
So zieh’n mit mir Constabler!!!!!
Un unterwegs an jeden Ort,
Uf jeden Fleck: Constabler!!!!!!
Wend’ ick mir rechts, wend’ ick mir links,
Ick stoße uf Constabler!!!!!!!
Un noch im Traume, schlechterdings,
Umjeben mir Constabler!!!!!!!!
Nu halt’ ick ’t länger nich mehr aus,
Hier unter die Constabler!!!!!!!!!
Ick sterbe: uf den Kirchhof, Jraus,
Da stehen ooch Constabler!!!!!!!!!!
Gebet der belagerten Berliner.

Vater Wrangel, der Du bist im Schlosse,
Gepriesen sei, wie Brandenburgs, Dein Name
Zu uns kamen Deine Kanonen;
Dein Wille geschieht gegen Himmel und Erde!
Unser täglich Brod giebst Du den Soldaten,
Und vermehrst unsere Schulden,
Wie Du vertrittst die Schuldigen.
Führe uns nicht in Versuchung!
Sondern erlöse uns von dem Uebel,
Denn Dein ist der Geist des ganzen Preußens
Und seine Kraft und seine Herrlichkeit,
So lange es dauert. Amen!
Regenwetter

in Potsdam.

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Gedicht: Aus dem Tagebuch eines Berliner Arbeiters von Adolf Glaßbrenner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aus dem Tagebuch eines Berliner Arbeiters“ von Adolf Glaßbrenner ist eine facettenreiche Satire, die die politische und soziale Realität Berlins und Preußens Mitte des 19. Jahrhunderts kritisch beleuchtet. Es ist ein Sammelsurium aus Beobachtungen, Kommentaren, humorvollen Vergleichen und sogar einer Parodie des Vaterunsers, die durch ihre volkstümliche Sprache und den Einsatz des Berliner Dialekts einen authentischen Eindruck des Lebens der einfachen Leute vermittelt.

Das Gedicht beginnt mit der Kritik an der politischen Situation, insbesondere an der deutschen Einigung und den damit verbundenen diplomatischen Manövern („Zu besiegen det marklose Dännemark, Det war doch für uns en wahrer Quark“). Glaßbrenner kritisiert auch die „Englisierung“ Preußens, die Einführung von englischen Institutionen und die damit einhergehende Unterdrückung der Freiheit. Die Verwendung von Reimen und des Dialekts, wie z.B. „jeb’n se uns jern“, verstärkt den Eindruck von Authentizität und ermöglicht es dem Autor, seine Kritik auf humorvolle und eingängige Weise zu präsentieren. Die „prophetischen“ Aussagen und Vergleiche, wie „En König is en mächtjer Herr, Bei Jott, ick sag’t nich jern“, dienen dazu, die Missstände aufzuzeigen und die Herrschaftsverhältnisse zu persiflieren.

Ein zentrales Element des Gedichts ist die Darstellung der omnipräsenten Polizeikräfte, insbesondere der „Constabler“. Glaßbrenner schildert in einer sich steigernden Kette von Ausrufen und Ausrufezeichen die allgegenwärtige Überwachung und den Kontrollwahn, der das Leben in Berlin bestimmt. Der zunehmende Kontrollzwang wird so überzeichnet dargestellt, dass es einen komischen Effekt hat, der aber gleichzeitig die Beklemmung der Bevölkerung widerspiegelt. Der Anblick von Konstablern bei jeder Gelegenheit und selbst im Traum verdeutlicht die Erfahrung der ständigen Überwachung und der daraus resultierenden Einschränkung der Freiheit.

Besonders bemerkenswert ist die Parodie des Vaterunsers, die das Gedicht mit einem Höhepunkt der Ironie abschließt. Das Gebet wird umgedeutet, um die militärische und politische Macht zu lobpreisen und die Beziehung zwischen den Mächtigen und den Untertanen zu karikieren. „Vater Wrangel“ (eine Anspielung auf den preußischen General) wird wie Gott angebetet, und die Bitten drehen sich um weltliche Dinge wie Brot und die Anhäufung von Schulden. Diese blasphemische Umdeutung des Gebets ist ein starkes Zeichen der Kritik an der Verehrung des Militärs und der politischen Elite und zeigt die Verzweiflung und das Gefühl der Ohnmacht der einfachen Leute im Angesicht der staatlichen Macht.

Insgesamt ist das Gedicht ein beeindruckendes Beispiel für politische Satire, das durch seinen Humor und seine authentische Sprache die Lebensrealität des Berliner Arbeiters im 19. Jahrhundert ergreifend wiedergibt. Es ist eine Mischung aus Protest, Resignation und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die in der Verwendung des Dialekts und der lebendigen Bilder, die Glaßbrenner entwirft, zum Ausdruck kommt. Das Gedicht ist nicht nur eine politische Satire, sondern auch ein Spiegelbild der menschlichen Erfahrung unterdrückerischer politischer Verhältnisse.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.