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Muckerlied

Von

Tagtäglich zehn Mal beten,
Und Bibelsprüch′ im Maul,
Sonst hab′ ich Nichts vonnöthen,
Bin ganz erschrecklich faul.
Ich war ein armer Schlucker,
Hatt′ kaum das liebe Brot,
Da wurde ich ein Mucker:
Nun hat es keine Noth!

Bei jeder neuen Sitzung,
Die unsre Bande hält,
Da wird mir Unterstützung
Durch baares, blankes Geld.
Daß ich bin fromm geworden,
Hat mir doch sehr gefrommt!
Vielleicht daß noch ein Orden
Mir in das Knopfloch kommt.

Den Kopf gesenkt zur Erde
Geh′ ich des Morgens aus;
Mit heuchelnder Geberde
Tret′ ich in′s Kaffeehaus,
Trink′ Wasser dort mit Zucker
Und werbe Fromme an:
Kein Mensch ahnt, was ein Mucker
Zu Hause saufen kann!

Zu hohem Zins verleih′ ich,
Was ich beim Muckern spar′,
Und meine Seele weih′ ich
Herrn Jesu immerdar,
Und den Gewinn notir′ ich
Im frommen Liederheft,
Auf diese Weise führ′ ich
In Frieden mein Geschäft.

Des Abends im Theater
Sitz′ ich mit gierem Sinn,
Und schmunzle wie ein Kater
Nach jeder Tänzerin;
Mit meinem Operngucker
Schau′ ich nach Wad′ und Brust;
Ach lieber Gott! ein Mucker
Hat auch so seine Lust!

Dann schleich′ ich still zur Klause,
Da, wo mich Niemand sieht,
Und nach dem Abendschmause
Sing′ ich ein frommes Lied,
Recht laut: von heil′ger Stätte,
Von Jesu, Glanz und Thron!
Daweile macht mein Bette
Die kleine Köchin schon.

Ich preise die Regierung,
Ich finde Alles gut;
Ich fluche der Verführung
Durch jetz′ge Freiheitsbrut;
So leb′ ich armer Schlucker
Ganz heiter, Gott sei Dank!
Und das Geschäft als Mucker
Treib′ ich mein Lebenlang.

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Gedicht: Muckerlied von Adolf Glaßbrenner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Muckerlied“ von Adolf Glaßbrenner ist eine bissige Satire auf die Scheinheiligkeit und den Opportunismus in der Gesellschaft. Es enthüllt die Widersprüche eines „Muckers“, also eines Scheinheiligen, der fromme Gesten benutzt, um sich selbst zu bereichern und ein angenehmes Leben zu führen. Der Text ist in einer Ich-Form geschrieben, wodurch die Verlogenheit des Protagonisten besonders deutlich wird, da er seine Heuchelei offen zugibt und sogar zelebriert.

Die Struktur des Gedichts folgt einem klaren Muster, das die verschiedenen Aspekte des Muckers-Lebens beleuchtet. In den ersten Strophen wird die Transformation vom armen Schlucker zum erfolgreichen „Mucker“ beschrieben, der durch die Mitgliedschaft in einer frommen Gemeinschaft finanzielle Vorteile erlangt. Diese Gemeinschaft dient ihm als Sprungbrett, um Unterstützung und Geld zu erhalten. Die Betonung auf materiellen Gewinn und die Gleichgültigkeit gegenüber moralischen Werten ist hier bereits evident. Die folgenden Strophen zeigen dann das Doppelleben des Muckers: tagsüber gibt er sich fromm, nachts genießt er die Annehmlichkeiten des Lebens wie Theaterbesuche und die Gesellschaft junger Frauen.

Glaßbrenners sprachliche Mittel verstärken die satirische Wirkung des Gedichts. Die einfache, volkstümliche Sprache mit ihren Reimen und der scheinbar naiven Erzählweise kontrastiert mit der verwerflichen Moral des Muckers. Ironie und Zynismus sind allgegenwärtig, insbesondere wenn der „Fromme“ seine Gottesdienste, sein Gebet und seine scheinbare Frömmigkeit zur Tarnung seines unaufrichtigen Verhaltens nutzt. Der Kontrast zwischen den scheinheiligen frommen Handlungen und dem tatsächlich unmoralischen Verhalten des Muckers erzeugt einen beißenden Spott auf die Doppelmoral der Gesellschaft.

Das Gedicht prangert die Heuchelei und den Missbrauch der Religion an, um persönliche Vorteile zu erlangen. Der Mucker nutzt die scheinbare Frömmigkeit als Fassade, um Reichtum zu erwerben, Zinsen zu nehmen, und sich gleichzeitig den weltlichen Freuden wie Theaterbesuchen und der Vergnügung mit Frauen hinzugeben. Durch die Darstellung dieses Widerspruchs kritisiert Glaßbrenner nicht nur Einzelpersonen, sondern auch gesellschaftliche Missstände, die es ermöglichen, dass Heuchelei gedeiht und zum Erfolgsweg wird. Die letzte Strophe, in der der Mucker sein scheinbar zufriedenes Leben preist, verstärkt die Kritik an einer Gesellschaft, in der Schein wichtiger als Sein geworden ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.