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Epistel

Von

Noch immer huldigst du bei deinen Akten
Dem Landrecht oder ähnlichen Materien,
Indes ich an den Arve-Katarakten
Schon weile, nah dem Zauberland Hesperien.
So mahne denn in wohlgemeßnen Takten
Dich dieser Brief an die verheißnen Ferien
Und locke dich aus deinem Hinterpommern
Zur Reise nach Italiens ew′gen Sommern!

Italien! In ew′ger Lust beseligt
Liebt dort der Himmel seine Erdenbraut,
Nicht wie bei uns, wo bei dem blassen Schneelicht
Der eine gähnend auf den andern schaut –
So gähnen zwei, aus Konvenienz verehlicht,
Schon am Altar sich an, wenn kaum getraut,
Und gähnend schleicht die Frau gleich nach der Heirat
Zur Küche, zu den Akten der Kanzleirat –

Nein, flammend küßt, verklärt von altem Ruhme,
Der Himmel dieses unter allen Ländern
Und füllt den Kelch der großen Sonnenblume
Mit seinen Strahlen, wie mit Liebespfändern;
Der Kaktus sproßt, die Palme und Agrune,
Die Oleander glühn und Rhododendren,
Und süß, wie aus der Grisi Mund die Arien,
Entquillt der Duft den Blüten und Nektarien.

Wohl lieblich ist′s, durch dichter Wälder Schauer,
Durch der Cypressen immergrünen Hain,
Vorbei zu ziehn an manch antiker Mauer,
Wo alter Ruhm zerbröckelt im Gestein;
In Träume wiegen wechselnd Lust und Trauer,
Die Zwillingsschwestern, deine Seele ein,
Indes im Laub Cikaden oder Grillen,
Von Tau betrunken, ihre Lieder schrillen.

Und in die Ferne schweift dein Blick! Tief hinten
Erglänzt das Meer, das du so oft durchschwammst,
Ein Zauberspiegel in des Abends Tinten;
Indessen du begeistrungstrunken flammst,
Rauscht geisterhaft das Laub der Terebinthen;
Der müde Führer aber, rotbewamst,
Klopft unbarmherzig auf das arme Maultier,
Das träg und keuchend hinschleicht wie ein Faultier.

Jetzt geht es einen Berg hinan; getroster
Klimmst du empor zur lang ersehnten Rast,
Denn oben winkt als Nachtquartier ein Kloster;
Die Brüder grüßen den willkommnen Gast,
An dem Portale lockt dich ein bemooster
Steinsitz zur Ruhe nach des Tages Last;
Auch bringt dir einer von den guten Mönchen
Aus ihrem Keller gern ein volles Tönnchen.

Die Sonne senkt sich purpurglüh′nd im Westen,
Ein Abendstück von Poussin oder Claude,
Und magisch auf den alten Mauerresten
Vermählt sich mit der Dämmerung das Rot;
Die müde Flur erwacht aus den Siesten,
Und gern vergißt man dieser Zeiten Not
Und träumt sich in die gute Zeit der Klassiker
Bei einem Glas Falerner oder Massiker.

In Schlaf gewiegt dann von der Luft Gelull,
Hört man die Lieder, die man schon in Prima
Gelesen hat; die Liebe preist Catull,
Wenn auch nicht die von Platos Diotima
(Denn hierzuland ist solche Liebe null
Und paßt nicht für das sonnenheiße Klima);
Virgil singt von Alexis die Idylle,
Horatius Flaccus sein Beatus ille:

Und freundlich reicht die liebliche Neära
Vom besten Cäcuber dir einen Trank
(Ein guter Wein; er schmeckt fast wie Madeira;)
Mit feur′gem Arm umschlingst du sie zum Dank.
Vergessen sind die Schmerzen unsrer Aera,
Es webt der Rebe laubiges Gerank
Sich fest um euch, und wollustvolles Zittern
Bebt in der Zweige immergrünen Gittern.

Die Götter alle siehst du aus der Mythe:
Es kommt der Schalk, der flügelschnelle Eros;
Du siehst die schaumgeborne Aphrodite
Und um sie her Tritonen auf dem Seeroß;
Von Rom und Hellas naht die Heldenblüte,
Ich nennte gerne hier dir jeden Heros,
Doch eignet sich das besser für ein Epos –
Die Namen siehe im Cornelius Nepos.

Drauf morgens, dankend noch den guten Wirten,
Ziehst du des Wegs, an dem in langen Linien
Sich die Cypressen reihen und die Myrten;
Du siehst durchs ew′ge Lorbeergrün der Vignen
Verglüh′nde Feuer der Campagnahirten
Und über Wipfel breitgezweigter Pinien
Tief hinten, überstrahlt vom reinsten Aether,
Die hehre Kuppel ragen von Sankt Peter.

Tot, sagst du, sei dies Land? O nein! Die Sichel
Der Zeit hat noch nicht alles weggemäht!
Noch lebt dort, was der Pinsel und der Stichel
An ewigen Gedanken ausgesät;
Noch blühen Sanzio und der große Michel,
Noch sind Petrarcs Sonette nicht verweht;
Und immer noch gleicht manche schöne Donna
Vittorien, der herrlichen Colonna.

Komm denn von deinem eisumstarrten Pole,
Wo schläfrig stets die Sonne steigt und sinkt,
Wo ihr (so glauben sie am Kapitole)
Talglichte speist und dazu Tinte trinkt!
Ein frischer Wind beflügle deine Sohle
Zum schönen, fernen Ziele, das dir winkt!
Kurz, zieh aus deinem Pommern oder Jütland
Mit mir vereint in mein geliebtes Südland!

Fern bis nach Mittag richtend unser Steuer,
Betreten wir das himmlische Sizilien;
Und dort, nachdem des Aschenberges Feuer
Wir grüßten und des Ennathales Lilien,
Laß uns dem Dichter, jedem Deutschen teuer,
An seinem Grabe halten die Vigilien!
O daß dereinst an Galatheas Fluten,
Wie ihm, so mir auch die Gebeine ruhten!

Er starb in der geweihten Syracusa
(Wohl richt′ger Syrakusä; doch mein Reim
Erlaubt es nicht!), wo er den Bienen zusah,
Wie sie am Hybla sogen ihren Seim;
Und auf Ortygia sang ihm Arethusa
Die Seele in die bessern Welten heim;
So zog er aus dem Vaterland des Bion
Geraden Weges in das ew′ge Zion.

Sanft mag er ruhn im Land der alten Mythen,
Und mögen ihm des reinern Südens Lichter
Die Asche vor profanen Händen hüten!
Noch dort im Grabe, fürcht′ ich, grollt der Dichter,
An dem sich schwer versündigten die Scythen:
War neben ihm doch sämtliches Gelichter,
Das sie an seiner Statt geschmückt mit Glorie,
Was neben Mokkakaffee die Cichorie!

So schrieb ich von dem Lande der Gesänge,
Wo lauer Wind vom blauen Himmel weht;
Und nun genug! Zu sehr schon in die Länge
Hat sich mein Brief gedehnt, und es ist spät;
Vom Turme hör′ ich sieben Glockenklänge
Mich mahnen, daß die Post nach Deutschland geht.
Drum lebe wohl! – Geschrieben zu Chamouni,
Hôtel de l′univers den zwölften Juni.

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Gedicht: Epistel von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Epistel“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine lebhafte Einladung an einen Freund, die tristen Gefilde der Heimat zu verlassen und das sonnenverwöhnte Italien zu besuchen. Das Gedicht ist in Versform gehalten und zeichnet sich durch eine detaillierte Beschreibung der landschaftlichen Schönheiten, der kulturellen Schätze und der sinnlichen Freuden Italiens aus, während es gleichzeitig die Gegensätze zur kargen Lebensweise in der Heimat aufzeigt.

Die ersten Strophen des Gedichts dienen als ein Appell, die Eintönigkeit des Alltags zu überwinden und sich den Freuden des italienischen Lebens zu öffnen. Der Dichter kontrastiert das „Hinterpommern“ mit dem „Zauberland Hesperien“ und „Italiens ew′gen Sommern“. Die Bilder des Gedichts sind reich an sinnlichen Details, die die italienische Landschaft, die Architektur und die Atmosphäre beschreiben. Dabei werden die Leser mit dem Duft der Blüten und dem Gesang der Cikaden und Grillen sowie den Farben des Himmels verwöhnt. Die Atmosphäre wird als heiter und befreiend dargestellt, im Gegensatz zur tristen Heimat.

Der Dichter webt in seine Beschreibung Italiens eine Vielzahl von kulturellen Anspielungen ein, die auf die reiche Geschichte und das kulturelle Erbe des Landes verweisen. Er nennt antike Mauern, Kunstwerke, Dichter und Denker wie Catull, Virgil, Horatius, sowie Namen von berühmten Künstlern wie Poussin und Claude. Die Erwähnung von Personen wie Vittoria Colonna und die Anspielung auf die Mythologie mit Eros und Aphrodite verleihen dem Gedicht eine zusätzliche Ebene der Tiefe und des kulturellen Reichtums. Die Einladung zum Genuss von Wein und die Beschreibung sinnlicher Freuden wie die Umarmung mit Neära unterstreichen die Lebensfreude, die in Italien vorherrschen soll.

Das Gedicht ist eine Hommage an die Schönheit und Lebensfreude Italiens. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen Wechsel vom Trübsinn der Heimat in eine Welt voller Kunst, Geschichte und sinnlicher Genüsse. Die Beschreibung Italiens ist von einem tiefen Respekt vor der Kultur und der Natur durchzogen. Die letzten Strophen nehmen die Vorstellung vom Tod und der Unsterblichkeit auf, indem sie das Grab des Dichters erwähnen und die Hoffnung auf eine ewige Ruhestätte in diesem wunderschönen Land äußern. Die Epistel ist somit nicht nur eine Einladung zu einer Reise, sondern auch eine Feier des Lebens und der Kunst.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.