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Die Athener in Syrakus

Von

Frühmorgens auf seinem Söller saß
Klearch mit dem Sohne Gorgias;
Vor ihm, gedehnt an des Hügels Fuß,
Das unermeßliche Syrakus
Mit Tempeln und Hallen und Thermen,
Und drüber hinweg des Aetna Schnee
Und das hochgezinnte Epipolä
Und der Häfen tobendes Lärmen.

»Du weißt, Sohn, was ich dem Ares versprach,
Als er die Macht der Athener zerbrach!
Eh Boreas noch, der eisige, tobt,
Muß ich, so wie ich im Kampfe gelobt,
Im Tempel das Opfer ihm zünden.
Geh, ruf mir den Meister des Bau′s herbei!
Ob nun vollendet das Prachtthor sei
Und der Giebel, soll er mir künden.

Doch sieh! dort naht er. – Du hörtest, ich will
Vor Winter den Tempel noch weihen, Thrasyll.
Schon werden die Blätter herbstlich welk;
Sag an denn: Ruht bereits das Gebälk
Auf den marmornen Architraven?
Wo nicht, so brauche die Geißel zum Schlag
Und zwinge zur Arbeit Nacht wie Tag
Die weichlichen attischen Sklaven!«

Thrasyll darauf: »Wenn, wie du verlangt,
Noch in Vollendung der Bau nicht prangt,
Bezähme, Gebieter, die Ungeduld!
Ein Chor des Euripides trägt die Schuld;
Sobald die Athener ihn singen,
Wird jeder der anderen Sklaven verlockt,
Dem Klange zu lauschen; die Arbeit stockt,
Nicht kann ich sie ferner erzwingen.«

Klearch vernimmt′s und erblaßt vor Wut.
»Mir, Vater, vertraue der Sklaven Hut,«
Ruft Gorgias da, »ich sei ihr Vogt!
Eh winterlich stürmend die See noch wogt,
Den Tempel sie lass′ ich vollenden!
Fand doch durch dieser Athener Speer
Mein Bruder den Tod; das büßen sie schwer,
Wenn die Geißel mir zuckt in den Händen!«

Den Jüngling, der hoch von Zornglut flammt,
Entsendet Klearch zu dem neuen Amt.
Und Tage verstreichen; im langen Zug
Geht schon nach Süden der Kraniche Flug,
Der Herbst hat die Haine gelichtet;
Da folgt der Vater dem Sohn, und bald
Ragt vor ihm der Hügel voll Pinienwald,
Auf dem er den Tempel errichtet.

Fast glaubt er, daß ihn das Auge trügt;
Kaum sind bis zum Dache die Quadern gefügt!
Er sieht, und im Herzen schwillt ihm der Groll,
Die attischen Sklaven trauervoll
In Reihen am Boden sitzend,
Und neben ihnen, o Spott und Hohn,
Verhüllten Gesichtes den eigenen Sohn,
Das Haupt mit dem Arme stützend.

Die Geißel erhob Klearch zum Schlag,
Die hingesunken am Boden lag:
»Was? Mitleid mit der verruchten Brut?
Auf, Hunde! Träg nicht länger geruht!
Sonst fort in die Steinbruchgruben!«
Da rafften die Sklaven sich mühsam empor,
Begannen die Arbeit und sangen im Chor,
Indes sie die Quadern huben:

»Ihr, die uns erzogen, heimische Aun,
Die mild des Ilyssus Wellen betaun,
Wo im säuselnden Hauch lind atmender Luft
Die Pinie rauscht an der Felsenkluft
Und Bienen um Blüten summen!
Ihr Haine, wo stets lau fächelnd der West
Die Purpurgranate reifen läßt
Und nie in dem grünenden dunklen Geäst
Die Nachtigallen verstummen!

Glückselige Flur des geliebten Athen,
So sollen wir nie dich wiedersehn?
Nie sehn, wie die hehre Akropolis
Und Tempel und Hallen am schönen Kephiß
Im Morgenglanze sich röten,
Indessen, die Stirnen grün umzweigt,
Der Zug der Opfernden aufwärts steigt
Und Luft und Himmel und Erde schweigt
Beim Klange der heiligen Flöten?«

Schon war dem Klearch, der horchend stand,
Die Geißel mählich entglitten der Hand;
Da sangen sie weiter: »So sollen wir nie
Bei den Götterbildern der Akademie
Den Lehren der Weisen lauschen,
Und nie, gestreckt auf die Marmorbank,
Mehr schlürfen der Dichtung göttlichen Trank,
Wo sprudelnde Quellen durch Epheugerank
Aus der Grotte der Nymphen rauschen?

Hier schmachten wir fern von Weib und Kind,
Ach! ferne von allen, die teuer uns sind!
Die Geißel tönt, und die Kette klirrt,
Und wenn uns Jammer den Geist verwirrt,
Uns zu trösten haben wir keinen!
Verwehn wird unseren Staub die Luft,
Und keine geliebte Hand auf die Gruft
Uns Kränze legen von süßem Duft,
Kein Auge über ihr weinen.«

Das Lied verhallte; sein Antlitz barg
Lang in des Gewandes Falten Klearch;
Dann trat er hin in der Sklaven Kreis;
Vom Auge quollen ihm Thränen heiß;
Haß war ihm und Grimm geschwunden.
Er rief: »Kehrt heim in eu′r schönes Athen
Und grüßt mir den Dichter beim Wiedersehn!
In seinem Liede hab′ ich ein Wehn
Vom Hauche der Götter empfunden!«

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Gedicht: Die Athener in Syrakus von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Athener in Syrakus“ von Adolf Friedrich Graf von Schack entfaltet in acht Strophen ein vielschichtiges Bild von Krieg, Gefangenschaft, Heimweh und Vergebung. Es zeichnet das Schicksal athenischer Sklaven in Syrakus, die unter der Herrschaft des Klearch zum Bau eines Tempels gezwungen werden. Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung der Szenerie und der Entschlossenheit Klearchs, seinen Schwur an den Kriegsgott Ares einzulösen, wobei die detailreiche Darstellung der Landschaft bereits eine Sehnsucht nach der Heimat andeutet.

Die Handlung nimmt Fahrt auf, als die Sklaven durch den Gesang eines Chores aus Euripides abgelenkt werden, was die Arbeit verlangsamt. Klearchs Sohn Gorgias übernimmt die Aufsicht, getrieben von Rachegelüsten für den Tod seines Bruders. Die Beschreibung des Wandels im Herbst, der Kraniche Flug und des nun fertiggestellten Tempels, schafft eine dramatische Kulisse für das tragische Ende. Doch als Klearch den Zustand des Baus begutachtet, trifft er auf das, was er am wenigsten erwartet: Die erschöpften Sklaven, trauernd, und sein Sohn, der sich ihnen angeschlossen hat.

Der Wendepunkt des Gedichts ist der Gesang der Sklaven, eine ergreifende Klage über ihre Gefangenschaft, die Sehnsucht nach der Heimat und die Hoffnungslosigkeit ihres Schicksals. Die detailreichen Bilder von Athen, von den Hainen, den Götterbildern und den Lehren der Weisen, lassen die Zuhörer an der Liebe zu ihrem Ursprung teilhaben. Dieser Chorgesang hat eine transformierende Wirkung auf Klearch, der zuvor von Hass und Zorn getrieben war.

Die finale Szene ist eine Geste der Vergebung und des Verständnisses. Klearch, überwältigt von den Emotionen des Liedes, lässt die Peitsche fallen. Seine Tränen markieren das Ende seines Hasses und den Beginn eines neuen Verständnisses für die Gefangenen. Er befiehlt ihnen, in ihre Heimat Athen zurückzukehren und grüßt den Dichter, dessen Worte ihn tief bewegt haben. Das Gedicht endet mit der Auflösung des Konflikts und der Anerkennung der menschlichen Würde, die über politische Gegensätze hinausgeht.

Insgesamt ist „Die Athener in Syrakus“ ein eindringliches Gedicht, das durch seine detailreichen Beschreibungen, die emotionale Tiefe des Gesangs und die Wandlung der Charaktere die Themen Krieg, Gefangenschaft, Heimweh, Vergebung und die Kraft der Kunst beleuchtet. Es zeigt, wie die Macht der Poesie und des menschlichen Mitgefühls sogar die tiefsten Gräben überwinden kann.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.