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Die Pythia

Von

Von des Mummius loher Fackel war zu Staub Korinth geworden,
Und der Freiheit altes Bollwerk lag gestürzt durch Römerhorden;
Aber noch bekämpften Hellas′ Stämme sich in ew′gem Hadern,
Tränkten noch den Mutterboden mit dem Blut der eignen Adern.

Und im Tempel Delphis standen die Gesandten der Entzweiten,
Um Apollos Spruch zu hören, eh sie ihren Kampf erneuten;
Auf dem Dreifuß ruht die Pythia, vor dem Gott dahingesunken,
Und ihr Haupt erhebt sich mählich, von dem Geist der Zukunft trunken.

Da ertönen Donnerschläge, daß die Tempelmauern zittern,
Lodernd zuckt ein Blitzstrahl nieder, schlägt das Säulendach zu Splittern,
Und die Seherin, verzweifelnd, stürzt vom Sitze: »Weh, Hellenen!
Unter euch wie einen Abgrund seh′ ich die Vernichtung gähnen!

Alle, die ihr euch befehdet im jahrhundertlangen Kampfe,
Hör′ ich untergehend ächzen in demselben Todeskrampfe;
Aus der Erde selbst erschallen dumpf ans Ohr mir Klagetöne,
Gleich dem Jammerruf der Muttter an den Leichen ihrer Söhne.

Zahllos wie die Wogen, wenn den Isthmus stürmen beide Meere,
Wälzen durch die Bergesschluchten sich heran die Scythenheere;
Und ihr Atem ist Zerstörung; auf dem Lauf, dem sturmgetragnen,
Leuchten ihnen loh′nde Städte über Haufen der Erschlagnen.

Raubgevögel, leichenwitternd, folgt dem Zuge der Barbaren;
An der Rosse Schweife binden sie die Jungfrau mit den Haaren;
An das Haus Kronions selber legen sie verruchte Hände,
Schleudern auf das Haus des Gottes lachend ihre Feuerbrände.

Haltet ein, Vermess′ne! Seht ihr nicht den Donnrer auf den Zinnen
Mit dem Blitzstrahl in der Rechten, dem die Frevler nicht entrinnen?
Nein, umsonst! Die Götter starben, und der Tempel sinkt zu Trümmern;
Nur zermalmte Marmorbilder hör′ ich aus dem Schutte wimmern.

Nicht ein Stein bleibt auf dem Steine; hingeschmettert von den Keulen
Stürzen auf die letzten Griechen ihrer letzten Tempel Säulen;
Und aus Rennbahn und Theater mit verlöschendem Geflacker
Wirft die Flamme blassen Schimmer auf den großen Totenacker.

Stolzes Volk, einst Weltgebieter! Dich mit allen deinen Stämmen
Wird die Sturmflut der Vernichtung weg vom Erdenboden schwemmen;
Selbst dein Name wird verschwinden, nur auf Gräbern wird man lesen
Und in deiner Geister Werken, daß ein Hellas je gewesen!«

So die Pythia; zu dem Gotte, dem gestürzten, sinkt sie nieder;
Wehe! hallt′s von hundert Lippen, weh! aus Delphis Grotten wieder,
Während schon des Pindus Schluchten von der Wilden Lanzen starren,
Und der Scythenrosse Hufe an dem Thor von Hellas scharren.

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Gedicht: Die Pythia von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Pythia“ von Adolf Friedrich Graf von Schack zeichnet das düstere Bild des Untergangs des antiken Griechenlands, indem es die Vision einer Seherin, der Pythia, in den Mittelpunkt stellt. Das Gedicht greift eine historische Periode auf, die durch innere Zwietracht und äußere Bedrohung gekennzeichnet ist, und verdeutlicht die Unausweichlichkeit des Niedergangs durch eindrucksvolle Bilder und eine düstere Stimmung.

Die Pythia, berauscht vom Geist der Zukunft, prophezeit das Unheil, das über Griechenland hereinbrechen wird. In ihren Visionen sieht sie die Zerstörung durch Krieg und die Invasion durch barbarische Völker, die durch die metaphorischen „Scythenheere“ repräsentiert werden. Die Beschreibung der Zerstörung ist detailliert und eindrucksvoll, mit Bildern von brennenden Städten, Toten, die als Raub für Geier dienen, und der Entweihung der Tempel. Die Verwendung starker visueller und auditiver Elemente, wie „Donnerschläge“, „Blitzstrahl“ und „Jammerruf“, verstärkt die Dramatik und die schockierende Natur der Prophezeiung.

Das Gedicht arbeitet geschickt mit Kontrasten. Auf der einen Seite stehen die einst stolzen Griechen, „Weltgebieter“, und ihre Errungenschaften, auf der anderen die Barbarei und Zerstörung. Die Prophezeiung selbst ist von tiefer Trauer durchzogen, erkennbar an Ausrufen wie „Weh, Hellenen!“. Die Reaktion der Menschen auf die Weissagung, das „Wehe!“, spiegelt die tiefe Verzweiflung wider, die das kommende Unheil auslöst. Die scheinbare Hilflosigkeit angesichts der Ereignisse wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die Götter selbst „starben“ und ihre Tempel zerstört werden.

Der politische Hintergrund des Gedichts, die innere Zerrissenheit Griechenlands und die Bedrohung durch äußere Feinde, wird als Hauptursache für den Niedergang dargestellt. Die inneren Konflikte werden als genauso verhängnisvoll angesehen wie die Invasion. Schack zeichnet das Bild eines Volkes, das durch seine eigenen Fehler und durch äußere Kräfte vernichtet wird.

Das Gedicht endet mit einer erschreckenden Vision des völligen Untergangs Griechenlands. Selbst der Name wird ausgelöscht, und nur in der Kunst und auf Gräbern wird noch an die Existenz des Volkes erinnert. Diese pessimistische Vision spiegelt die romantische Sehnsucht nach der Vergangenheit wider, verbunden mit der Erkenntnis der Vergänglichkeit menschlicher Größe und der Unvermeidlichkeit des Wandels. Das Gedicht dient als eine mahnende Erinnerung an die Fallstricke von innerer Zwietracht und äußerer Bedrohung und an die letztendliche Unvermeidlichkeit von Niedergang und Vergessen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.