Dich ahnte meine Seele lange
Dich ahnte meine Seele lange,
Bevor mein Auge dich gesehn,
Und selig-süße Schauer bange
Fühlt′ ich durch all mein Wesen gehn.
Ich sog von unbekannten Blüten
Den Duft, der mir entgegenquoll,
Und nie erblickte Sterne glühten
Zu Häupten mir geheimnisvoll.
Doch immer sah ich deinen Schatten
Nur trübe wie durch Nebelflor;
Dein Antlitz schien daraus in matten,
Gebrochnen Zügen nur hervor.
Und als der Schleier nun gesunken,
Der dich vor mir verhüllt – vergieb,
Wenn lang ich sprachlos und wie trunken,
Betäubt von all dem Glücke blieb!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Dich ahnte meine Seele lange“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine lyrische Auseinandersetzung mit der Sehnsucht nach einer geliebten Person und dem Moment der Erfüllung dieser Sehnsucht. Das Gedicht zeichnet sich durch eine romantische Bildsprache aus, die die emotionale Tiefe und die Erwartung der Begegnung mit der geliebten Person einfängt, bevor sie schließlich offenbart wird. Die Struktur des Gedichts spiegelt den Prozess der Sehnsucht und der schrittweisen Enthüllung wider.
In den ersten beiden Strophen wird die Phase der Vorahnung und der Sehnsucht thematisiert. Die „Seele“ des lyrischen Ichs ahnt die Existenz der Geliebten lange bevor sie mit den Augen wahrgenommen wird. Diese Vorahnung wird durch „selig-süße Schauer“ und das Einatmen eines unbekannten Duftes aus „unbekannten Blüten“ sinnlich erfahrbar gemacht. Die „nie erblickten Sterne“ verstärken die mystische und überirdische Atmosphäre der Sehnsucht. Das lyrische Ich befindet sich in einem Zustand der Erwartung, der von einem Gefühl der Freude und gleichzeitig von einer gewissen Ungewissheit geprägt ist.
Die dritte Strophe beschreibt die Vorstellung der Geliebten in einem verschleierten Zustand. Der „Schatten“ der Geliebten erscheint „trübe“ und durch einen „Nebelflor“ hindurch, was die Unschärfe und die Unvollkommenheit der Vorstellungskraft verdeutlicht. Das Antlitz der Geliebten ist nur in „matten, gebrochnen Zügen“ zu erkennen, was die Distanz und die Schwierigkeit der vollständigen Erfassung widerspiegelt. Diese Strophe bildet einen Übergang zur Auflösung der Sehnsucht, indem sie die Unvollkommenheit des imaginären Bildes betont und die Erwartung der realen Begegnung steigert.
Die vierte Strophe ist der Höhepunkt des Gedichts, in dem der „Schleier“ endlich sinkt und die Geliebte in ihrer vollen Gestalt erscheint. Die Reaktion des lyrischen Ichs ist von Sprachlosigkeit und „trunkenem“ Zustand gekennzeichnet, die auf die überwältigende Wirkung des Glücks zurückzuführen sind. Die „Betäubung“ verdeutlicht die Intensität der Emotionen, die durch die Erfüllung der Sehnsucht ausgelöst werden. Das Gedicht endet mit einem Moment des Innehaltens, des Staunens und der überwältigenden Freude über die Realität, die nun die Erwartungen übertrifft.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.