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Das Land der Freiheit

Von

Es schlief ein Greis auf Hellas’ Feld, wo man die Schlacht geschlagen,
Er schlief wohl an zehn Stunden schon, seit ausgetobt der Schlachtlärm,
Und wer den grauen Schläfer sah, seufzt: Friede mit den Todten!
Doch jetzt erhebt der Greis sein Haupt, reibt sich den Schlaf vom Auge.

Es liegt ein stiller See vor ihm mit purpurrothen Wellen.
»Du ebner See,« so lispelt er, »wie friedlich fließt dein Wasser,
Wie glühen deine Wellen all’ so schön im Morgenrothe!
So hehr erglänzt das Frühroth nur im goldnen Land der Freiheit!«

Viel hundert Männer lagern rings am Strand des Sees und schlafen.
»Du sel’ge Schaar, wie schläfst du süß im freien Himmelssaale!
Nicht scheinest du des Wüthrichs Ruf, nicht Räuberschwert zu fürchten;
So sicher, traun, und friedlich schläft sich’s nur im Land der Freiheit!«

Und neben ihm, im grünen Gras, da ruhn zwei holde Kinder,
Zwar regungslos, doch halten sie sich treu und fest umschlungen.
»O schönes, zartes Blumenpaar, umkos’t vom Hauch der Liebe!
Solch süße, heil’ge Liebe lebt nur in dem Land der Freiheit.«

Es neigt gar mild sich über ihn ein lieblich Frauenantlitz;
Sein müdes Silberhaupt ruht sanft im Schooß des schönen Weibes
»Auf solchen Kissen schläft man nur im schönen Land des Friedens
Und solche Engel wachen nur im goldnen Land der Freiheit!«

Er lispelt’s leis und senkt das Haupt und schließet still das Auge,
Und nimmer öffnet es der Greis, erhebt nie mehr das Antlitz.
O armer und doch sel’ger Greis, o schlafe fort und träume!
Erwache nie, daß Keiner dir, was du gesehn, je deute!

Nicht glüht der See vom Frühroth, nein, vom Blute deines Volkes!
Die Schläfer – deine Brüder sind’s – erwachen nimmer wieder!
Die Kinder – deine Enkel sind’s – die starben Hungertodes!
Das Frau’nbild – deine Tochter ist’s – weint über deiner Leiche!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Land der Freiheit von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Land der Freiheit“ von Anastasius Grün entfaltet in einer scheinbar idyllischen Szene eine tiefgreifende politische Aussage. Der Autor bedient sich einer romantisch-verklärten Sprache, um die Illusion einer friedlichen Freiheit zu zeichnen, die jedoch durch subtile Hinweise und schließlich durch die bittere Erkenntnis zerstört wird. Der Greis, der als einziger erwacht, träumt von einer Welt, in der Harmonie, Liebe und Frieden herrschen, eine Welt, die er im „Land der Freiheit“ verortet.

Die ersten vier Strophen beschreiben eine idealisierte Landschaft mit einem See, schlafenden Kriegern, Kindern und einer Frau. Diese Bilder werden durch positive Adjektive wie „friedlich“, „schön“, „süß“ und „heilig“ charakterisiert, wodurch eine Atmosphäre der Ruhe und des Glücks erzeugt wird. Der Greis scheint diese Szene als Manifestation seiner Träume zu betrachten, ein Paradies, das er in der Freiheit verwirklicht sieht. Jede der beschriebenen Elemente – der See, die Krieger, die Kinder, die Frau – wird mit dem Ideal der Freiheit in Verbindung gebracht. Der Dichter zeichnet ein Bild von scheinbarer Harmonie und Glück.

Die Wendung erfolgt in der letzten Strophe, die die romantische Fassade mit erschreckender Deutlichkeit zerbricht. Die Metaphern, die zuvor auf ein glückseliges Land deuteten, werden nun in ihre realen, grausamen Bedeutungen aufgelöst. Der See glüht nicht vom Morgenrot, sondern vom Blut des Volkes. Die schlafenden Krieger sind tot, die Kinder sind dem Hungertod erlegen, und die Frau weint über der Leiche des Greises. Das „Land der Freiheit“ entpuppt sich als ein Schlachtfeld, auf dem Krieg, Tod und Elend herrschen.

Die tragische Ironie des Gedichts liegt darin, dass der Greis die Illusion von Freiheit in den Bildern seines Traumes sieht, während die Realität von Leid und Verlust geprägt ist. Anastasius Grün kritisiert somit auf subtile Weise die romantische Verklärung des Freiheitsbegriffs und die Idealisierung des Krieges. Er entlarvt die Wahrheit hinter dem Schein und zeigt, dass das „Land der Freiheit“ ohne Frieden, Gerechtigkeit und Liebe eine leere Hülle ist. Die letzte Zeile, die den Greis auffordert, weiterzuträumen, betont die Hoffnungslosigkeit und das tragische Ende des Traums.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.