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Bestimmung

Von

Als der Herr die Ros’ erschaffen,
Sprach er: du sollst blühn und duften!
Als er hieß die Sonne werden,
Sprach er: du sollst glühn und wärmen!

Als der Herr die Lerch’ erschaffen,
Sprach er: flieg’ empor und singe!
Als geformt des Mondes Scheibe,
Sprach er: rolle hin und leuchte!

Als der Herr das Weib erschaffen,
Sprach er: sei geliebt und liebe!
Aber als er dich erschaffen,
Hat er wohl dieß Wort vergessen.

Denn wie könntest du sonst sehen
Mond und Sonne glühn und leuchten,
Rosen blühen, Lerchen steigen,
Und geliebt sein und – nicht lieben?

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Gedicht: Bestimmung von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Bestimmung“ von Anastasius Grün ist eine tiefgründige Reflexion über die Rolle und das Schicksal des Menschen im Kontext der Schöpfung. Der Dichter vergleicht die Bestimmung verschiedener Elemente der Natur – Rose, Sonne, Lerche und Mond – mit der des Weibes und des lyrischen Ichs. Er beginnt mit der Hervorhebung der klaren, eindeutigen Aufgaben, die Gott den anderen Geschöpfen zuweist, und stellt diese der Frage nach der Bestimmung des lyrischen Ichs gegenüber.

Der erste Teil des Gedichts zeichnet ein Bild der Harmonie und des Gehorsams gegenüber der göttlichen Ordnung. Die Rose soll blühen und duften, die Sonne glühen und wärmen, die Lerche singen und steigen, und der Mond leuchten. Diese einfachen, aber klaren Anweisungen vermitteln ein Gefühl von Zweckmäßigkeit und Erfüllung. Das Weib wird dazu bestimmt, geliebt zu werden und zu lieben, was eine klare Rolle im sozialen Gefüge darstellt.

Der Wendepunkt kommt mit der Frage nach der Bestimmung des lyrischen Ichs. Der Dichter stellt fest, dass die klare Anweisung, die Gott den anderen Geschöpfen gab, für ihn offenbar vergessen wurde. Diese Erkenntnis führt zu der Frage, warum das lyrische Ich in der Lage ist, die Schönheit und die Freuden der Welt wahrzunehmen, ohne selbst zu lieben und geliebt zu werden. Die Frage impliziert eine Ungleichheit, eine Art von Defekt in der Bestimmung des Menschen, der ihn von der Harmonie des Kosmos abtrennt.

Die zentrale Botschaft des Gedichts ist die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Zustand der Unvollkommenheit und der Sehnsucht nach Erfüllung. Das Gedicht wirft die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Fähigkeit zur Liebe als wesentlichem Bestandteil der menschlichen Erfahrung auf. Durch die Gegenüberstellung der klaren Aufgaben der Natur mit der scheinbar unbestimmten Rolle des lyrischen Ichs wird die Komplexität und das Rätsel der menschlichen Existenz betont, die oft von Zweifeln, Sehnsüchten und dem Streben nach Sinn geprägt ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.