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Die Sünderin

Von

Einsam liegt ein Häuschen, abgelegen,
Hart am Meer, das an die Wände braust,
Daß sie ewig zitternd sich bewegen,
Wie so manches Herz, das drinnen haust.

Dieses niedre Pförtlein, will’s nicht deuten,
Daß nur Niedres ungehemmt hier zieht,
Doch der Reinheit Kranz, beim Drüberschreiten,
Leicht vom Haupt sich abstreift und verblüht?

Denn ein Tempel ist’s, der Sünd’ erschlossen!
Und doch seht, wie glänzt das Frühroth drauf,
Daß er, wie aus reinem Gold gegossen,
Ragt als heil’ger Sonnentempel auf!

Horch, des schmalen Fensters Flügel klingen!
Und es blickt mit welkem Busenstrauß,
Fahlem Kranz und schlaffen Lockenringen
Eine Priest’rin dieses Doms heraus.

Blaß sind ihrer Wangen kalte Flächen,
Wie des Richters weißes Pergament,
Das des Schuldigen geheimst Verbrechen
Und zugleich sein strenges Urtheil nennt.

Wie so matt die trüben Augen schimmern,
Fast wie Kerzen, über Nacht gebrannt,
Die nun kärglich fahl und müde flimmern,
Seit der goldgelockte Tag erstand.

Blumen prangen dort in bunten Farben,
Die begießt sie jetzt, daß fort sie blühn;
Wenn im Herzen schon die Blumen starben,
Läßt man gern sie vor den Fenstern glühn.

Zwischen Rosen, Ampeln, Engelchören
Steht ein Bild der Himmelskönigin;
Dort der ew’gen Lampe Gluth zu nähren,
Bringt sie Oel, wie Vesta’s Priesterin!

Neue Blumen geht sie jetzt zu pflücken,
Zwei Gewinde fügt sie tändelnd draus,
Einen Kranz, Mariens Haupt zu schmücken,
Für sich selbst dann einen Blumenstrauß.

Scheint’s nicht reinstes Hochgefühl des Weibes,
Das so arglos hier mit Kränzen spielt,
Weil es selbst den Schooß des eignen Leibes
Einen Heiland werth zu tragen fühlt?

Künstlich schminkt sie nun die blassen Wangen,
Und doch nenn’ ich Schamroth dieses Roth,
Denn sie läßt es auf dem Antlitz prangen,
Ach, aus Scham, daß es so blaß und todt!

Nun das ros’ge Haupt sie laß und lose
In die weißen Hände niederbeugt,
Scheint’s nicht eine müde Purpurrose,
Auf zwei Nachbarlilien hingeneigt!

Und so starrt sie schweigend in die Welle,
Unter ihr schlägt wild die Brandung an,
Aber fern ist Frieden, Tageshelle,
Heitre Ruhe, ebne Spiegelbahn.

Und so späht sie starr durch Luft und Wogen
Nach dem längst erloschnen Morgenstern,
Fernhin, wo die weißen Segel zogen,
Ihrer Unschuld Bild, so weiß – so fern!

Weint sie nicht? Kind, wein’ ins Meer nur wieder!
Dieser Perlenschrein wird doch nie leer,
Deine Augen füllen bald sich wieder
Und an Perlen reicher wird das Meer.

Schimmre fort, du ros’ge Morgenröthe,
O verklär’ ihr fort das Angesicht!
Ha, inmitten ihrer Blumenbeete
Wie verklärt sie steht, wie rein, wie licht!

Und sie ist nur eine welke Blume
Von der Paradiesesrose: Weib,
Trümmer nur vom schönsten Heiligthume,
Ach, ein tiefgefallen sündig Weib!

Und doch könnt’ ich knieen hier und beten,
Wie vor Heil’gen beten, weinen hier!
Eine Rose liegt am Weg zertreten,
Und ein ganzer Himmel wohl mit ihr.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Sünderin von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Sünderin“ von Anastasius Grün zeichnet das Porträt einer Frau, die in einem abgelegenen Haus am Meer lebt, und offenbart durch vielschichtige Bilder und Metaphern ihr inneres Leid und ihre Suche nach Erlösung. Das Gedicht ist nicht nur eine Beschreibung der äußeren Erscheinung der Frau, sondern auch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Schuld, Reue, Sehnsucht nach Reinheit und der Frage nach Vergebung.

Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung des einsamen Hauses am Meer, das durch die stürmische See und das „zitternde“ Herz, das darin haust, eine beklemmende Atmosphäre erzeugt. Die Beschreibung der Frau, die als „Priesterin dieses Doms“ bezeichnet wird, ist von Gegensätzen geprägt. Ihr äußeres Erscheinungsbild, mit blassen Wangen und müden Augen, kontrastiert mit der scheinbaren Schönheit der Blumen und der Anwesenheit eines Marienbildes. Diese Gegensätze deuten auf ein inneres Ringen hin, das sich zwischen scheinbarer Reinheit und tiefem Leid abspielt. Die Frau versucht, durch äußerliche Handlungen wie das Schmücken mit Blumen und dem Verehren der Madonna, den Schein einer unberührten Seele aufrechtzuerhalten.

Im Laufe des Gedichts wird die innere Zerrissenheit der Frau immer deutlicher. Sie schminkt ihre blassen Wangen, aber die „Scham“ durchbricht die Fassade. Ihr Blick richtet sich sehnsüchtig auf das Meer, wo die „weißen Segel“ ihrer verlorenen Unschuld symbolisch nachklingen. Die Beschreibung der „Purpurrose“, die sich auf zwei Lilien neigt, deutet auf eine tiefe Erschöpfung und das Eingeständnis des Scheiterns hin. Ihre Tränen, die ins Meer fließen, werden als Perlen beschrieben, die das Meer reicher machen, was eine paradoxe Metapher für die unaufhörliche Natur ihres Leidens darstellt.

Das Gedicht kulminiert in einer abschließenden Bewertung, die das Dilemma der Frau aufgreift. Sie wird als „welke Blume“ und „Trümmer des schönsten Heiligthums“ beschrieben, was ihre innere Zerstörung und den Verlust ihrer Unschuld unterstreicht. Gleichzeitig wird eine Ehrfurcht zum Ausdruck gebracht, die in der Aussage „Und doch könnt’ ich knieen hier und beten“ gipfelt, was die Ambivalenz der Gefühle des Sprechers gegenüber der Frau widerspiegelt. Die abschließenden Zeilen, die die zerstörte Rose und den „ganzen Himmel“ erwähnen, deuten auf das tragische Ausmaß ihres Schicksals hin, das durch ihre Sünde und ihren Sturz aus der göttlichen Gnade verursacht wurde. Insgesamt ist „Die Sünderin“ ein bewegendes Gedicht über die menschliche Tragödie, die Schuld und die Suche nach Erlösung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.