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Der Strohhalm

Von

»Wo blieb er, daß er so plötzlich verschwand?
Wir müssen ihn suchen, den Höllenbrand;
Denn solch ein Hauptmann, beim Teufel, ist rar!«
So schallt′s durch den Haufen von Mansfelds Schar
Im Dickicht der düsteren Tannen.
Der Hauptmann indes, von den Seinen verirrt,
Stürmt, wo das Gebirg sich am wildesten wirrt,
Nachdem er die Klöster in Brand gesteckt
Und den Boden mit Trümmern und Leichen bedeckt,
Auf brausendem Rosse von dannen.

Es dunkelt; da unter dem Felsen sieht
Er einen Siedler, der betend kniet.
»Ei, Bruder, grüße dich Lucifer,
Und liebst du dein Leben, so laß das Geplärr!
Hervor mit den Truhen und Kisten!«
Doch der Siedler giebt Antwort: »Von Stroh ist mein Pfühl;
Trank bietet der Bach mir frisch und kühl;
Ich habe kein Mahl zu teilen mit Euch,
Als die bitteren Beeren vom Heidegesträuch,
Die spärlich das Leben mir fristen.«

Drauf jener: »Schicke, du Kuttenmann –
Verderben euch allen – zum Sterben dich an!«
Das Schwert erhebt er; doch, wie er auch droht,
Nicht zittert der Siedler, da ihn der Tod
Anblitzt von der funkelnden Schneide;
Zu singen beginnt er: »O Herr, geh′ nicht,
Mit deinem Knechte geh nicht ins Gericht!«
Dann beut er dem tödlichen Streich das Genick;
Doch der Hauptmann schlägt zu Boden den Blick,
Und es sinkt ihm das Schwert in die Scheide.

»Das ist das Lied – wohl kenn′ ich den Klang -,
Das vor dem Sterben mein Vater sang,«
So murmelt er leise und starrt und sinnt,
Und der Siedler, der es gewahrt, beginnt
Den Frevler zur Buße zu mahnen;
Er redet von Gott, der dem Sünder vergiebt
Und den Sohn, den verlorenen, doppelt liebt;
Von dem Himmel der Gnade, der über uns blaut
Und den Frost in dem eisigen Herzen taut,
Noch eh′ wir es denken und ahnen.

»Vergeben?« spricht jener – »o eitler Wahn!
Schon seh′ ich den Anklagengel nahn
Und zwischen mich und des Himmels Huld
Die Berge, die ich gehäuft von Schuld,
Als ewiges Bollwerk wälzen.«
Er spricht es und seufzt, doch der Siedler ruft:
»Und wären wie Schnee in der Bergeskluft,
Ja mehr noch deine Sünden gehäuft,
Die Thräne der Reue, die dir entträuft,
Sie wird sie wie Flocken schmelzen!«

Da löst sich dem Sünder der starre Sinn;
Er sank vor das Bild des Gekreuzigten hin,
Und die Nacht durch lag er am Boden so,
Indessen heiß auf des Lagers Stroh
Die strömenden Thränen ihm flossen.
Der Siedler sah es mit Scheu von fern;
Er fühlte mit Schauern die Nähe des Herrn,
Der im Herzen des Menschen sich mächtig erweist;
Dann senkte sich Schlummer auf ihn, und der Geist
Ward zum hehren Gesicht ihm erschlossen.

Ein Regenbogen, so schien ihm im Traum,
Hing hoch im unendlichen Himmelsraum,
Und Christus droben auf leuchtendem Thron
Hielt die Wage, welche zu Strafe wie Lohn
Die Tugenden wägt und die Sünden;
Die Seele des Hauptmanns kniete vor ihm;
Bang blicken auf sie die Cherubim;
Doch die Teufel harren erwartungsvoll
Des Spruchs, der die frevelnde stürzen soll
Zu der Hölle dunkelsten Schlünden.

Und mit Sünden, gleich Bergen, gleich Welten so schwer,
Zahllos wie die Körner des Sandes am Meer,
Ward eine der Schalen zum Rande gefüllt;
Die Engel hatten ihr Haupt verhüllt,
Und die Teufel jauchzten und riefen:
»Noch nie belud, seit die Welt steht, nie,
Sich eine Seele mit Freveln wie die!«
Und sie jubelten lauter: »Bruder, hab Dank!«
Und die Schale sank und sie sank und sank
In die untersten Abgrundtiefen.

Da naht sich ein Engel hoffnungsfroh
Und legt mit der Rechten ein Hälmchen Stroh
Auf die Schale der Tugenden, die noch leer;
Begierig drängten sich um ihn her
Die Engel in dichtem Gewimmel;
Und sieh! durch das Hälmlein, leicht wie ein Haar,
Das feucht von den Thränen des Reuigen war,
Ward die Schale der Sünden emporgeschnellt,
Und huldvoll blickte der Richter der Welt,
Und die Seele flog in den Himmel.

Tag wird es, da stürmen mit wüstem Geschrei
Die Mordgesellen zur Siedelei;
Schon zuckt in den Händen der Wilden das Schwert;
Doch der Siedler erhebt sein Haupt wie verklärt,
Und sie weichen zurück betreten;
Er weist auf das Lager am Kruzifix,
Wo der Hauptmann liegt gebrochenen Blicks;
Er kündet, was Gott ihm enthüllt im Gesicht;
Sie aber bestaunen des Herren Gericht
Und knien an der Leiche zum Beten.

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Gedicht: Der Strohhalm von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Strohhalm“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine ergreifende Ballade, die die Thematik der Vergebung und Erlösung im christlichen Glauben aufgreift. Es erzählt die Geschichte eines Hauptmanns, der durch Krieg und Gewalt verroht ist, und seine Begegnung mit einem frommen Siedler, die eine tiefgreifende Wandlung in ihm auslöst. Die Handlung ist in einer düsteren Kriegszeit angesiedelt und schildert die Verzweiflung und Hoffnung, die im Angesicht des Todes und der eigenen Schuld aufkommen.

Die Geschichte beginnt mit der Suche der Kriegskameraden nach dem verschwundenen Hauptmann, der sich im Dickicht der Tannen verirrt hat. Dieser wird als skrupelloser Zerstörer dargestellt, der Klöster niederbrennt und die Landschaft mit Leichen bedeckt. Seine Begegnung mit dem Siedler, der in Armut lebt und betet, ist ein Wendepunkt. Der Siedler widersteht den Drohungen des Hauptmanns und singt ein Gebet, das den Hauptmann an die Worte seines Vaters erinnert, und berührt ihn zutiefst.

Die zentrale Botschaft des Gedichts manifestiert sich im Traum des Hauptmanns und dem anschließenden Wandel. Im Traum wird das Jüngste Gericht dargestellt, wobei die Sünden des Hauptmanns in einer Waage gewogen werden. Die Sündenlast scheint unermesslich, doch ein Engel legt ein einziges Strohhalm, das von den Tränen der Reue des Hauptmanns befeuchtet ist, in die Waagschale der Tugenden. Dieses kleine, scheinbar unbedeutende Detail kippt die Waage und rettet die Seele des Hauptmanns.

Die Symbolik des Strohhalms ist von entscheidender Bedeutung. Es repräsentiert die Kraft der Reue und der göttlichen Gnade, die selbst schwerste Sünden überwinden kann. Die Tränen der Reue sind das Medium, durch das die Seele des Hauptmanns von seiner Schuld befreit wird. Das Gedicht unterstreicht die christliche Vorstellung, dass wahre Reue und die Annahme der göttlichen Gnade zur Erlösung führen können, selbst für diejenigen, die unvorstellbare Gräueltaten begangen haben.

Am Ende des Gedichts, wird die Wandlung des Hauptmanns sichtbar. Seine Kameraden, die ihn suchen, finden ihn am Kreuz kniend und gebrochen. Seine Seele ist durch die Gnade Gottes gerettet, und die Krieger, die zuvor dem Hauptmann gehorchten, erkennen nun die Macht des Göttlichen an. Das Gedicht endet mit einer Szene der Buße und des Gebets, die die allumfassende Kraft der Vergebung und des Glaubens veranschaulicht.

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.