Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , ,

Die Einsamen

Von

Einsam stand ein grauer Felsen
Mitten in das Meer gesät;
Fast schon wollt’ ich ihn beneiden,
Daß er einsam, fest doch steht.

Einsam auf dem grauen Felsen
Grünt’ ein Baum, gar stolz und kühn;
Fast schien mir der Baum zu loben,
Daß er einsam, doch so grün.

Einsam kreist’ um Baum und Felsen
Eine Lerche leichtbeschwingt;
Fast wollt’ ich sie glücklich preisen,
Daß sie noch so fröhlich singt.

Aber Felsen, Baum und Lerche,
Jetzt beneid’ ich euch nicht sehr!
Denn es warf ein Stoß des Windes
Schnell den einzlen Baum ins Meer.

Müd’ ins Wasser sank die Lerche,
Eh’ die Schwestern sie erreicht;
Und die Fluthen unterwühlten
Selbst den Fels, den einzlen, leicht!

Ach, da mußt’ ich euer denken,
Dichter meines Vaterlands,
Da ihr einzeln, fern den Brüdern,
Wähnt zu pflücken euren Kranz.

Gegen Nord und Süd und Osten
Steht ihr sehnend hingewandt,
Ach, doch Manche mit dem Rücken
Gen das eigne Vaterland!

Einzle Felsen nur im Meere,
Einzle Bäume seid ihr nur,
Einzle Lerchen, einsam singend
In dem öden Luftazur.

Trotz’ge Felsen, rückt zusammen!
Irre Lerchen, sammelt euch!
Stolze Bäum’, umrankt, umschlinget
Euch in Zweig’ und Wurzeln reich!

Laßt uns sein ein Wall von Felsen,
Der als Damm, gar stolz und fest,
Von dem Meere der Gemeinheit
Sich nicht unterwühlen läßt!

Laßt uns sein ein Wald von Bäumen,
Im Vereine doppelt grün;
Ueber den verschlung’nen Wipfeln
Rauscht der Sturm ohnmächtig hin!

Laßt uns sein ein Chor von Lerchen,
O dann klingt er doppelt schön
Der Gesang von hundert Kehlen,
Wirbelnd in die Sonnenhöhn!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Einsamen von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Einsamen“ von Anastasius Grün thematisiert die Isolation und das Scheitern des Einzelnen, um dann in einem Aufruf zur Solidarität und zum Zusammenhalt zu münden. Der Dichter beginnt mit der Beschreibung einer einsamen Naturkulisse: einem Felsen im Meer, einem Baum auf dem Felsen und einer Lerche, die um sie kreist. Er drückt zunächst eine Art Bewunderung und Neid auf diese isolierten, aber scheinbar standhaften oder lebensbejahenden Elemente aus, da sie in ihrer Einsamkeit Stärke oder Freude zu finden scheinen.

Die zweite Hälfte des Gedichts vollzieht jedoch einen Wendepunkt. Der Dichter erkennt die Vergänglichkeit und Verletzlichkeit des Einzelnen. Der Wind reißt den Baum ins Meer, die Lerche sinkt ermüdet ins Wasser, und die Fluten unterhöhlen den Felsen. Diese Ereignisse dienen als Metaphern für das Schicksal der Dichter, die sich ebenfalls isoliert und ohne Unterstützung fühlen. Grün vergleicht sie mit den einsamen Elementen der Natur, die dem Sturm der Ungunst und dem Vergessen ausgeliefert sind. Sie sind wie „einzelne Felsen“, „einzelne Bäume“ und „einzelne Lerchen“, die in ihrer Isolation scheitern.

Die letzten Strophen des Gedichts stellen eine deutliche Kehrtwende dar. Grün wendet sich an seine Dichterkollegen und ruft sie zur Einheit und zum Zusammenhalt auf. Er fordert sie auf, ihre Isolation zu überwinden und sich zu vereinen: „Trotz’ge Felsen, rückt zusammen! / Irre Lerchen, sammelt euch! / Stolze Bäum‘, umrankt, umschlinget / Euch in Zweig‘ und Wurzeln reich!“. Durch die Solidarität und den Zusammenschluss, so die Botschaft, können die Dichter eine größere Stärke und Widerstandsfähigkeit entwickeln. Sie sollen sich zu einem „Wall von Felsen“, einem „Wald von Bäumen“ und einem „Chor von Lerchen“ formen, um dem „Meere der Gemeinheit“ zu trotzen.

Das Gedicht spiegelt somit die gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts wider, in denen der Wunsch nach Einheit und Zusammenhalt angesichts von Unterdrückung und Isolation wuchs. Es ist ein Aufruf zur Solidarität und ein Plädoyer für die Kraft der Gemeinschaft, um dem Einzelnen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Natur dient hier als Spiegelbild der menschlichen Erfahrung, wobei die anfängliche Bewunderung der Einsamkeit durch die Erkenntnis ihrer letztendlichen Ohnmacht und Verletzlichkeit abgelöst wird. Das Gedicht mündet in einer optimistischen Vision der Stärke, die in der vereinten Kraft liegt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.