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Das unbekannte Grab

Von

Halb schon verschüttet von dem weh′nden Sande
Ragt einsam dies verfallne Grab;
Die Sonne flammt darauf in lohem Brande,
Wie vor Aeonen, noch herab.

In keinem Grashalm, nicht im dürrsten Moose
Ringsum von Leben eine Spur;
Weit dehnen sich bis in das Grenzenlose
Der Himmel und die Wüste nur.

Und Bilder seh′ ich auf dem Stein und Zeichen
In einer Schrift, die keiner kennt,
Gestalten, die der Völker keinem gleichen,
So viele die Geschichte nennt.

Wen birgt das Grabmal? Eines Königs Leiche,
Der hier das Scepter schwang
Und stolz hinunter sah auf seine Reiche
Vom Aufgang bis zum Niedergang.

In Sprachen, nun jahrtausendlang verklungen,
Ward ihm vielleicht Unsterblichkeit,
Wie den Gesängen, drin sie ihn besungen,
Von seinen Dichtern prophezeit.

Vielleicht – doch nein, nicht einen Laut mehr stammelt
Von damals die Erinnerung,
Und vor dem Staube, der sich hier gesammelt,
Scheint jede andre Vorwelt jung.

Wer giebt mir Kunde von der Zeit, der langen,
Die schon auf Erden war?
Wer nennt mir eine, die nicht schon vergangen,
Und wär′ es Platos Riesenjahr?

Selbst fühl′ ich hier das Haupt mir von der Schwinge
Des Todesengels schon umkreist,
Und schwindelnd in die große Nacht der Dinge
Versinkt mit Zagen mir der Geist.

O Mensch, mit deinem Schaffen, deinem Streben,
Du Opfer der Vergessenheit,
Was zählst du deine Jahre? Nur im Leben,
Allein im Tod ist keine Zeit.

Im Tod ist keine Zeit. Führt er als Beute
Dich heute noch zum Hades ein,
So wirst du in dem Schattenreich noch heute
Gleich alt mit König Cheops sein.

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Gedicht: Das unbekannte Grab von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das unbekannte Grab“ von Adolf Friedrich Graf von Schack entfaltet in elegischer Weise das Thema der Vergänglichkeit und die Nichtigkeit menschlicher Bemühungen angesichts der unaufhaltsamen Zeit. Das lyrische Ich steht vor einem verfallenen Grab in einer trostlosen Wüstenlandschaft, die von der Sonne verbrannt wird. Die Beschreibung des Grabes, das halb im Sand verschüttet ist, und die abwesende Vegetation deuten auf Verfall und das unaufhaltsame Wirken der Natur hin. Die fehlende Spur von Leben in der Umgebung verstärkt das Gefühl der Einsamkeit und der Verlorenheit, ein Spiegelbild des menschlichen Schicksals.

Die im Gedicht beschriebenen Inschriften und Figuren auf dem Grabstein sind dem lyrischen Ich unbekannt, sie gehören einer vergangenen, vergessenen Kultur an. Dies unterstreicht die Vergänglichkeit menschlicher Errungenschaften und die Tatsache, dass alles, was einst von Bedeutung war, irgendwann der Vergessenheit anheimfällt. Die Frage nach dem Inhalt des Grabes, ob es einen König birgt, der einst über Reiche herrschte, dient als Metapher für die Eitelkeit weltlicher Macht und den letztendlichen Triumph des Todes. Die Prophezeiungen der Dichter und die vermeintliche Unsterblichkeit durch Gesänge erweisen sich als Illusion, da selbst die Erinnerung an den König im Staub der Vergessenheit erstickt.

Die zweite Hälfte des Gedichts vertieft die melancholische Stimmung und reflektiert über die Frage der Zeit. Das lyrische Ich fragt nach der Möglichkeit, Kunde über die Vergangenheit zu erlangen, erkennt jedoch, dass alles vergeht. Das Gefühl der unmittelbaren Nähe des Todes, symbolisiert durch den „Todesengel“, der das lyrische Ich umkreist, verstärkt das Gefühl der Ausweglosigkeit und der Ohnmacht. Der Schwindel, der den Geist erfasst, verdeutlicht die Erkenntnis, dass alles irdische Streben letztendlich scheitert.

Die abschließenden Strophen des Gedichts bieten eine düstere, aber auch tröstliche Einsicht. Die Anrufung „O Mensch“ verdeutlicht die universelle Gültigkeit der Thematik. Das lyrische Ich stellt die Frage nach dem Sinn des menschlichen Schaffens und Strebens und kommt zu dem Schluss, dass das Leben allein zählt, da nur im Tod keine Zeit existiert. Durch den Tod wird die zeitliche Begrenzung aufgehoben, und der Mensch kann Teil des unendlichen Kreislaufs der Existenz werden. Der letzte Vers, der die Gleichheit mit König Cheops in der Totenwelt postuliert, bekräftigt die Vorstellung von der Überwindung der Zeit und der letztendlichen Einheit aller Wesen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.