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Das Alpenglühen

Von

Das ist im Thal ein Glänzen, Kosen
Von Blumen, Bäumen, Sonnenlicht,
Durch die sich, wie lebend’ge Rosen,
Ein Kranz von blüh’nden Menschen flicht!

Mit kaltem strengen Angesichte
Blickt nur das Alpenhaupt darein;
Ist’ s denn nicht auch berührt vom Lichte?
Was mag sein düstres Sinnen sein?

Nacht ist’s geworden allzuschnelle
Und Dunkel hüllt des Thales Hag;
Nicht ahnt, wer’s sah so froh und helle,
Daß es so finster, stumm sein mag!

Auf allen Wesen, graunbeklommen,
Der Finsterniß Vernichtung ruht!
Einst, als die erste Nacht gekommen,
Wie war es, Mensch, dir da zu Muth?

Den Bäumen bangt und graut im Düstern,
Die Zweige tasten scheu im Kreis;
Ihr Dasein noch sich zuzuflüstern
Beginnt’s im Laub zu rauschen leis.

Der Rose Gluth kann jetzt nicht hellen!
Daß sie der Mensch zertrete nicht,
Läßt sie ihr Duften bange quellen,
Ihr Duft wird Hülfeschrei und Licht!

Der Lichterglanz, der wie mit Sehnen
Im Thal aus Fensteraugen bricht,
Er quillt wie flammenhelle Thränen
Um ein verlornes, größres Licht.

Doch sieh vom Flammenkranz umschlungen
Das Haupt der Alpe, gluthumrollt,
Als ob zu sparen ihr gelungen
Ein Theil von ihrem Tagesgold!

Als ob tagüber sie gefangen
Im Kranz die Rosen all’ im Thal;
Als ob bei Tag dir von den Wangen,
Du Volk des Thals, das Roth sie stahl!

Wenn um der Witwe Leib sich senken
Die schwarzen Trauerhüllen dicht,
Glüht oft ein süßes Rückgedenken
Noch fort auf ihrem Angesicht.

Du aber, heitres Herz im Thale,
Nun deine hellen Tage blühn,
Bewahre sorgsam ihre Strahle,
In deinen Nächten nachzuglühn.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Alpenglühen von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Alpenglühen“ von Anastasius Grün entfaltet eine tiefgründige Metapher über die Vergänglichkeit des Lebens, die Flüchtigkeit des Glücks und die Kraft der Erinnerung. Es beginnt mit einer Beschreibung des lebendigen Treibens und der Schönheit im Tal, die durch das Sonnenlicht erhellt werden und durch das Bild eines „Kranz[es] von blüh’nden Menschen“ zum Ausdruck kommt. Dieser lebendige, farbenfrohe Zustand wird jedoch durch den Kontrast des „kalten strengen Angesicht[s]“ des Alpenhaupts kontrastiert, das mit einer gewissen Distanz auf das Geschehen herabblickt. Dieser Gegensatz zwischen dem flüchtigen Glück im Tal und der beständigen, wenn auch unberührten, Präsenz des Berges etabliert eine erste Ebene der Dichotomie, die das Gedicht durchzieht.

Der Übergang von Tag zu Nacht und der damit einhergehende Verlust des Lichts bildet den zentralen Wendepunkt des Gedichts. Die Dunkelheit, die das Tal bedeckt, symbolisiert nicht nur das Ende eines Tages, sondern auch den Verlust von Freude und Glück. Die Natur, repräsentiert durch Bäume und Rosen, reagiert auf diese Dunkelheit mit Furcht und Trauer. Die Rose, die zuvor in ihrer vollen Pracht erstrahlte, reduziert ihre Leuchtkraft und entfaltet stattdessen ihren Duft als „Hülfeschrei und Licht“. Diese Szene verdeutlicht die Hilflosigkeit des Talbewohners gegenüber der Dunkelheit, die jedoch die Kraft der Erinnerung und des inneren Lichts betont.

Der vierte und fünfte Abschnitt beleuchten diese Übergänge im Detail. Der Mensch wird mit dem Beginn der ersten Nacht konfrontiert und muss seine Emotionen verstehen. Die Bäume sind in der Nacht verängstigt, die Zweige verhalten sich scheu im Kreis. Die Rose, die zuvor in voller Pracht erstrahlte, reduziert ihre Leuchtkraft und entfaltet stattdessen ihren Duft als „Hülfeschrei und Licht“. Der Blick verlagert sich dann auf die „flammenhelle[n] Thränen“ des Lichts, das aus den Fenstern der Häuser im Tal dringt, was die Trauer über den Verlust des Tageslichts und des Glücks widerspiegelt. Diese Tränen sind aber auch ein Ausdruck der Hoffnung und des Gedenkens, die in der Dunkelheit weiterleben.

Der Schluss des Gedichts wendet sich der Hoffnung zu und betont die Bedeutung der Bewahrung des „Tagesgold[es]“ der Vergangenheit, das im Herzen weiterlebt. Das Alpenglühen, das die Gipfel in der Nacht erleuchtet, wird als ein Überbleibsel der Sonne interpretiert, das die Bergspitze behält und der Bevölkerung im Tal das Glühen zurückgibt. Diese Schlusszeilen erinnern an die Witwe, deren Angesicht im Angesicht des Todes durch die Erinnerung an die schöne Vergangenheit erleuchtet wird. Grüns Gedicht plädiert somit für die Wertschätzung der gegenwärtigen Momente, die sorgfältige Bewahrung schöner Erinnerungen und die Hoffnung, die in der Dunkelheit des Verlustes weiterlebt. Es handelt von der Vergänglichkeit und der menschlichen Fähigkeit, im Angesicht der Dunkelheit Licht und Trost zu finden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.