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Wanderlied eines adligen Handwerksburschen

Von

Ach, ach, ach und ach,
Wie schön′s doch früher war!
Vor, vor, vor und vor,
Vor drei-, vierhundert Jahr!
Da räuberte mein Ahn′ umher,
Als ob das Beste seine wär′;
Jetzt wird man gleich gefangen,
Gehangen!

Wir, wir, wir, wir zähln
Schon lange vor Noah;
In, in, in der Arch′
War mein Geschlecht schon da!
Doch zeig′ ich jetzt mein Wappen auf,
Wo unser Eselskopf darauf,
So lachen mir die Wichte
In′s G′sichte.

Jetzt, jetzt, jetzt und jetzt,
Jetzt wand′re ich zu Fuß;
Weil, weil, weil und weil
Ich Arbeit suchen muß.
Was hilft mir nun mein Stammbaum auch,
′S wächst nicht Brod und Butter drauf.
Muß sie mit sauern Mienen
Verdienen.

Wer, wer, wer und wer
Kauft mir mein′n Adel ab?
Daß, daß, daß und daß
Ich etwas davon hab′?
Denn wenn wenn ich Nichts von haben thu′,
Als Schweiß und Hunger und Durst dazu,
So dank′ ich für die Ehre
Euch sehre!

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Gedicht: Wanderlied eines adligen Handwerksburschen von Adolf Glaßbrenner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wanderlied eines adligen Handwerksburschen“ von Adolf Glaßbrenner ist eine satirische Betrachtung über den Niedergang des Adels und die veränderte soziale Ordnung in einer Zeit des Umbruchs. Der Sprecher, ein adliger Handwerksbursche, beklagt den Verlust seiner Privilegien und die Diskrepanz zwischen seiner edlen Herkunft und seiner aktuellen, bescheidenen Lebenssituation.

Der erste Strophenteil beschreibt wehmütig eine glorifizierte Vergangenheit, in der seine Vorfahren als Raubritter agierten und sich scheinbar ungestraft bereichern konnten. Diese Vergangenheit kontrastiert scharf mit der Gegenwart, in der der Sprecher für seine Taten zur Rechenschaft gezogen würde. Die Wiederholung von Wörtern wie „ach“ und „vor“ verstärkt die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten und die Langeweile. Die Ironie liegt darin, dass der Adel sich seiner eigenen, nicht immer ehrenhaften Vergangenheit bewusst ist.

In der zweiten Strophe unterstreicht der Sprecher die lange Tradition seiner Familie. Doch der Hinweis auf den „Eselskopf“ im Wappen, den die „Wichte“ (spöttische Zeitgenossen) auslachen, offenbart die Wertlosigkeit des Adels im Angesicht der neuen gesellschaftlichen Realität. Diese Strophe verdeutlicht den Verlust von Prestige und die Ernüchterung des Sprechers. Er erkennt, dass er mit seiner Vergangenheit nichts mehr anfangen kann.

Die dritte Strophe schildert die Ernüchterung des Handwerksburschen in der Gegenwart. Er muss zu Fuß wandern und Arbeit suchen, was eine deutliche Abwertung seiner sozialen Stellung darstellt. Die Wiederholung von „jetzt“ betont die Präsenz der Realität und die Abkehr von den früheren Idealen. Die Frage nach dem Verkauf seines Adels bezeugt die Verzweiflung des Sprechers und seine Erkenntnis, dass Adelstitel keinen Wert mehr haben, solange sie nicht mit materiellem Wohlstand verbunden sind. Die letzten beiden Zeilen drücken seinen Ekel über sein Leben aus.

Glaßbrenners Gedicht ist somit eine beißende Kritik an der Bedeutungslosigkeit des Adels in einer Welt, die sich im Wandel befindet. Durch die Verwendung von Ironie, Humor und einer einfachen, volksliedhaften Sprache gelingt es ihm, die soziale Ungerechtigkeit und die Wertverluste der alten Ordnung auf humorvolle Weise darzustellen. Das Gedicht ist eine sozialkritische Reflexion, die die Kluft zwischen Tradition und Moderne aufzeigt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.