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Die Ahnenbilder

Von

Aus dem altergrauen Rahmen
Blickt ihr fremd auf mich herab,
Und ins Aug′ euch mit Vertrauen
Wie ein Sohn nicht kann ich schauen;
Nichts mit euch ja als den Namen
Teil′ ich und dereinst das Grab.

Still am väterlichen Herde,
An die Scholle festgebannt,
Lebtet ihr im Kreis, dem engen,
Kanntet nicht das wilde Drängen,
Das mich über diese Erde
Ruhlos trieb von Land zu Land;

Nicht der Nächte bleiche Qualen,
Wenn der Geist in Fieberhast
Sucht ein Traumbild zu erreichen,
Doch es weichen sieht und weichen,
Bis es in des Morgens Strahlen
Wie ein Meteor erblaßt.

Ob des Enkels Thun und Trachten
Schütteln seh′ ich euch das Haupt;
Früh schon hat es ihn inmitten
Der Verwandten nicht gelitten;
Nicht gedacht, so wie sie dachten,
Hat er, noch wie sie geglaubt.

Wert der Mühn schien ihm nur eines –
Durch ein Werk, von ihm vollbracht,
In der Menschen Angedenken
Seinen Namen einzusenken,
Daß er fernhin lichten Scheines
Strahle durch der Zeiten Nacht.

Alpengipfel, nie erstiegen,
Lockten ihn zu sich empor;
Doch, kaum daß er sie erklommen,
Höher, morgenlichtumglommen,
Sah er andre Firnen liegen,
Und ein Abgrund war davor.

Aus des Abends fernsten Meeren,
Von des Ostens Purpursaum,
Dacht′ er heim den Schatz zu bringen;
Doch vergebens war sein Ringen,
Und, im Auge heiße Zähren,
Sagt er sich: Es war ein Traum.

Bald den Särgen seiner Väter
Wird nun seiner eingereiht,
Und, wie in der Jahre Rollen
Eure Namen längst verschollen,
Nur um ein′ge Tage später
Deckt auch ihn Vergessenheit.

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Gedicht: Die Ahnenbilder von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Ahnenbilder“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine melancholische Reflexion über die Kluft zwischen den Generationen, die Unvereinbarkeit von Familientradition und individueller Sehnsucht sowie die Vergänglichkeit menschlichen Strebens. Das lyrische Ich, offenbar ein Nachfahre der im Gedicht erwähnten Ahnen, blickt auf die Porträts seiner Vorfahren und fühlt sich ihnen entfremdet, getrennt durch unterschiedliche Lebensentwürfe und Erfahrungen. Er stellt fest, dass er außer dem Namen und dem gemeinsamen Grab nichts mit ihnen teilt.

Das Gedicht entfaltet sich in einer Reihe von Bildern, die die Gegensätze verdeutlichen: die Ruhe und Sesshaftigkeit der Vorfahren versus die Rastlosigkeit und das Streben des lyrischen Ichs. Während die Ahnen in einem engen, traditionellen Kreis lebten und sich mit dem väterlichen Erbe identifizierten, sehnt sich das lyrische Ich nach Abenteuer, Erkenntnis und bleibender Anerkennung durch die Nachwelt. Er reist, sucht nach neuen Erfahrungen, ringt mit dem Geist und versucht, ein Werk zu schaffen, das seinen Namen in die Geschichte einschreibt. Dieser Drang nach Individualität und die Suche nach dem Besonderen stehen im krassen Gegensatz zu den Werten und Lebensweisen der Ahnen, die in ihrer Bescheidenheit und Bodenständigkeit das Gemeinsame und das Bewährte schätzten.

Die Metaphern der „Alpengipfel“ und der „Abendmeere“ symbolisieren das unstillbare Verlangen des lyrischen Ichs nach Höherem, nach Erkenntnis und Abenteuer. Doch diese Suche bleibt letztlich erfolglos und führt zu Enttäuschung und Resignation. Die eroberten Gipfel offenbaren weitere, unerreichbare Ziele; die erhofften Schätze verwandeln sich in Träume. Die heißen Tränen im Auge des Sprechers unterstreichen die bittere Erkenntnis, dass alle Anstrengungen im Angesicht der Vergänglichkeit sinnlos erscheinen. Der abschließende Blick auf die eigene bevorstehende Bestattung und das Vergessen, das über alle hinwegzieht, betont die Tragik dieser Einsicht.

Das Gedicht ist in sechs Strophen von jeweils acht Versen gegliedert, die einen klaren Rhythmus und Reimschema aufweisen. Die Sprache ist gehoben und reflektierend, wobei die Bildhaftigkeit die Kontraste zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Moderne, Erwartung und Scheitern verstärkt. Es ist ein Gedicht über die Suche nach dem Sinn, die Einsamkeit des Individuums und die letztendliche Nichtigkeit des menschlichen Strebens im Angesicht der Zeit. Die Ahnenbilder werden so zu einem Spiegel der eigenen Sterblichkeit und der Unfähigkeit, die Leere des Lebens zu füllen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.