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Ein Ritt über die Haide

Von

Es ritten über die weite Haide
Zwei Ritter, Freunde in Lust und Leide.
Da ragt kein Baum und kein Vogel singt,
Da säuselt kein Laub, kein Bächlein klingt,
Kein Röslein glüht; nur im falben Kleide
Weithin dehnt stumm sich die glatte Haide.

Erst reiten sie still dahin mit Schweigen,
Wie also die Art ist Freunden eigen,
Denn spräch’ auch Dieser hier aus das Wort,
Längst fühlt’s und denkt’s der Andre dort;
Nur weil so todesstumm die Haide,
Fährt mählich Redelust in Beide.

Der Eine spricht: »Wenn ich die Blicke
Weit über dieß Haidefeld ausschicke,
Muß diesen unbegrenzten Raum,
Der ohne Wechsel und ohne Saum,
Als Bild der Ewigkeit ich deuten,
Der unsre Seelen entgegenschreiten.«

Der Andre meint: »Ich bin’s zufrieden,
Ist’s unsern Leibern und Seelen beschieden,
Wie der Staub, von unsern Rossen gestampft,
Wie der Hauch, aus ihren Nasen gedampft,
Ein Weilchen über die Haide zu treiben,
Mag auch die Haide urewig bleiben!«

Der Erste drauf: »So hältst du in Ehren,
Mißrathner Sohn, der Mutter Lehren!
Für dich umsonst vergossen ist
Des Herren Blut, abtrünniger Christ!
So ist dir des Menschen heiliger Glaube
Nur der des Thiers, des Wurms im Staube!«

Der Andre dann: »Brennt dir unterm Schopfe
Des Herren Lichtlein umsonst im Kopfe?
Und hast du’s, eh’ es geleuchtet, gestutzt?
Hat dir’s das Pfäfflein pfiffig geputzt?
Sonst müßtest du als Glück es ehren,
Wenn wir das Würmlein im Sonnenglanz wären?«

»Wohlan, du Gotteslästrer, verderbe!«
»Wohlan, du Pfaffenknecht, so sterbe!«
Zum Kampf gewendet Pferd gen Pferd!
Zum Hieb geschwungen Schwert gen Schwert!
Ins Herz getroffen und fallend Beide!
Drauf flücht’ger Staub über ewiger Haide.

Ich meine, die Schuld an solchem Leide
Trägt nur die öde, stumme Haide;
Wenn sie geritten im Palmenhain,
Sie würden zur Stunde noch Freunde sein;
Wenn sie geritten im Blumenhage,
Sie ritten wohl noch am heutigen Tage.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Ritt über die Haide von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Ritt über die Haide“ von Anastasius Grün beschreibt die eskalierende Auseinandersetzung zweier Ritter während eines Ritts durch eine karge, eintönige Heidelandschaft, die schließlich in einem tödlichen Duell endet. Die scheinbar neutrale Umgebung der Haide spielt dabei eine zentrale Rolle, indem sie die Stimmung der Ritter beeinflusst und letztlich die Ursache für ihren Konflikt darstellt.

Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung der Einöde der Haide. Die Abwesenheit von Leben, von Bäumen, Vögeln, Wasser und Blumen, erzeugt eine Atmosphäre der Monotonie und Leere. Diese trostlose Umgebung spiegelt sich in der anfänglichen Stille zwischen den Rittern wider. Ihre Gedanken scheinen von der Weite und der Trostlosigkeit der Landschaft beeinflusst zu werden, was ihre anfängliche Schweigsamkeit erklärt. Die Haide wird im ersten Teil als „stumm“ bezeichnet, was ihre passive Rolle in der Geschichte hervorhebt.

Die unterschiedlichen philosophischen Ansichten der Ritter über die Ewigkeit und das Leben werden durch die Umgebung ausgelöst und vertieft. Der erste Ritter, mit einer eher religiösen oder metaphysischen Perspektive, interpretiert die endlose Weite der Haide als ein Bild der Ewigkeit, während der zweite Ritter eine eher weltliche und kurzlebige Sichtweise einnimmt. Ihre Meinungsverschiedenheit eskaliert schnell, als sie ihre unterschiedlichen Glaubensvorstellungen und Lebensansichten einander entgegenhalten. Die Kontroverse zwischen ihnen wird durch religiöse und philosophische Differenzen verschärft, was zu gegenseitigen Beschimpfungen und schließlich zum tödlichen Kampf führt.

Die Haide wird im letzten Teil des Gedichts als Schuldige für das tragische Ende identifiziert. Durch diese Personifizierung der Landschaft wird die These aufgestellt, dass die eintönige, lebensfeindliche Umgebung die Ursache für den Konflikt und die Gewalt der Ritter ist. Hätten sie sich in einer belebteren, fruchtbareren Umgebung befunden, wie zum Beispiel in einem Palmenhain oder einem Blumengarten, wären sie vermutlich weiterhin Freunde geblieben. Der Kontrast zwischen der leeren Haide und den wünschenswerten, lebensbejahenden Orten betont die suggestive Kraft der Umgebung und ihre Fähigkeit, menschliche Beziehungen zu beeinflussen.

Abschließend zeigt das Gedicht, wie die Umgebung die menschliche Psyche und zwischenmenschliche Beziehungen beeinflusst. Es ist eine Mahnung an die Auswirkungen der Einsamkeit und der trostlosen Natur, die zu Konflikten und zerstörerischen Handlungen führen können. Die Haide, als Sinnbild der Leere und Monotonie, wird somit zum Katalysator für das tragische Schicksal der Ritter, indem sie ihre Meinungsverschiedenheiten anheizt und sie in den Tod treibt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.