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Der ewige Wanderer

Von

Rastloser, der, vom alten Fluche wankend,
Im Wettersturme des Vergangnen schwankend,
Mit irren Tritten durch das Weltall schweift,
Dem immer neu der Winterfrost der Jahre
Und der Jahrhunderte die greisen Haare,
Wie Schnee der Alpen Haupt, bereift!

Vorüber sahst du gehn die Menschenalter,
Und neu zur Gruft erstehen gleich dem Falter,
Der ew′gen Tod auf seinen Schwingen trägt,
Und sahst die Völker zu den toten Reichen,
Wie blasse Kinder zu der Mütter Leichen,
Staub zu dem Staub, ins Grab gelegt.

Um Freude bettelnd klopfst du an die Pforte
Von jeder Zeit; doch jede ruft die Worte
Entgegen dir: Nimm unsre Schmerzen mit!
Ein Lachen, um den Jammer zu betäuben,
Dünkt dich die Lust; wie welkes Laub umstäuben
Der Menschheit Seufzer deinen Tritt.

Jetzt, da nach Aufgang deine Blicke schweifen,
Zählst du am Himmelsrand die blassen Streifen,
Ob einer noch zum ew′gen Morgen fehlt;
Die Dämmrung naht, und auf die vierte Stunde
Weist jene Sternenuhr, die als Sekunde
Das älteste Jahrtausend zählt.

Ein frost′ger Hauch dringt durch des Ostens Spalten,
Und Heerrauch wallt herab in grauen Falten;
Der Morgen tagt, doch tagt in Finsternis;
Angstvoll nur flattern einzle Himmelslichter;
Der Erdstoß schreitet näher, der Vernichter;
Von Pol zu Pole klafft ein Riß.

Ein Donner dröhnt von fallenden Lawinen,
Und Welt an Welt, Ruine an Ruinen,
Stürzt zitternd durch die aschenbleiche Luft;
Die Monde und die Wandelsterne rollen,
Wie auf den Sarg der Sterblichen die Schollen,
Zu ihren Sonnen in die Gruft.

Es knicken, losgerissen aus den Fugen,
Die Säulen, die den Bau der Schöpfung trugen,
Wie nächt′ge Schatten in dem Strahl des Lichts,
Und durch die Nebel, wie sie niedertriefen,
Gähnt in den ausgeleerten Himmelstiefen
Das öde, grenzenlose Nichts.

Doch du, o Seufzer auf des Ew′gen Lippe,
O Wandrer, spähst noch von der Trümmerklippe
Des toten Weltalls nach dem künft′gen Einst;
Verronnen sind die Ströme und die Meere;
Noch aber ist sie nicht versiegt, die Zähre,
Die brennendheiße, die du weinst!

Und um dich her, wie Blasen auf dem Schaume,
Gärt neues Leben in dem wüsten Raume
Und schleudert Sonnen, Ball an Ball gereiht,
Durch neue Himmel hin mit ihren Erden,
Und schäumend überschwillt das neue Werden
Die Marken der Unendlichkeit.

Aufs neue dann, von ew′gem Durst getrieben,
Indes gleich Flocken Welten um dich stieben,
Raffst du dich auf an deinem Wanderstab
Und fragst die Brandung neuer Oceane,
Die Flammenherde werdender Vulkane:
Habt ihr für meinen Schmerz ein Grab?

O Bild der Menschheit, Bild der gramerkornen,
Die ewig seufzt ums Glück der Ungebornen,
Doch nie dem Fluch entrinnt, der sie ergreift
Und sie als Opfer mit den beiden Schergen,
Geburt und Tod, auf Wiegen und auf Särgen
Von Dasein fort zu Dasein schleift!

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Gedicht: Der ewige Wanderer von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der ewige Wanderer“ von Adolf Friedrich Graf von Schack zeichnet ein düsteres Bild von einem rastlosen, ewigen Wanderer, der durch die Ruinen einer untergehenden Welt wandert. Die zentrale Figur, ein Sinnbild für die Menschheit, ist verdammt, Zeuge des Verfalls und der Vergänglichkeit zu sein. Durch die Verwendung von kraftvollen Bildern und einer ergreifenden Sprache, die von Naturkatastrophen, Zerstörung und dem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen geprägt ist, wird eine tiefgreifende Melancholie erzeugt.

Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung der ewigen Qual des Wanderers, der von einem alten Fluch gebeutelt durch das Universum irrt. Die Naturmetaphern, wie der „Winterfrost der Jahre“ und der „Schnee der Alpen“, unterstreichen die unaufhaltsame Alterung und Vergänglichkeit. Der Wanderer ist Zeuge des Aufstiegs und Falls von Völkern und Zivilisationen, sieht, wie Generationen wie „Falter“ auferstehen und sterben. Die wiederholte Beobachtung des Todes, symbolisiert durch die „Gruft“ und das „Grab“, verstärkt das Gefühl der Verzweiflung und des ewigen Leids.

Die zweite Hälfte des Gedichts verschiebt den Fokus auf die Hoffnung. Trotz der allgegenwärtigen Zerstörung und des Nichts, das am Horizont gähnt, deutet sich ein Neuanfang an. Neues Leben entsteht, und die „Sonnen“ und „Erden“ werden in einem neuen Werden geboren. Der Wanderer selbst wird Teil dieses Kreislaufs, getrieben von einem ewigen Durst, und sucht nach einem Grab für seinen Schmerz. Das Gedicht endet mit einer ergreifenden Reflexion über die Menschheit, die nach Glück strebt, aber dem Fluch von Geburt und Tod nicht entkommen kann.

Schacks Gedicht ist eine kraftvolle Meditation über das menschliche Dasein, das geprägt ist von Leid, Vergänglichkeit und dem ewigen Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt. Die Sprache des Gedichts ist reich an Bildern und Metaphern, die eine Atmosphäre der Melancholie und des Untergangs erzeugen, aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang in sich tragen. Der „ewige Wanderer“ wird so zu einem Symbol für die Menschheit, die in einer Welt des Wandels und des ewigen Ringens nach Sinn und Erfüllung sucht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.