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Auf dem Turm des Seraskiers

Von

Welch Brausen um mich her? Mir ist, als wehte
Ein Schöpfungsodem durch die Welt,
Da unten sich die Kaiserin der Städte
Im ersten Tagesstrahl erhellt.

Herein durchs Klippenthor der Symplegaden
Melodisch saust der Bosporus
Und giebt, aufschäumend an den Felsgestaden,
Zwei Welten seinen Wogenkuß.

Die Morgenwinde jagen Segelboote
Heran vom blauen Hellespont;
Fern strahlt das Schneehaupt des Olymp, vom Rote
Des nahen Lichtgestirns besonnt;

Und hoch und höher leuchten auf die Dome,
Und weiße Minarete glühn,
Friedhöfe, Brunnen, mächt′ge Hippodrome
Aus dunkelndem Cypressengrün.

Doch über all der Pracht mit trübem Blicke
Seh′ ich am Horizonte schon
Die düstre Wetterwolke der Geschicke,
Schwer von der Zukunft Schrecken, drohn;

Ja, seh′ auf hochbeschäumten Wogenpfaden
Im weltverheerenden Orkan,
Mit Blitzen und mit Wirbelwind beladen,
Die Flotten aller Länder nahn.

Schlachtdonner und Gekrach und Flammenzischen,
Wenn Tod die Feuerschlünde spein,
Wird bald gen Himmel schallen, und dazwischen
Von Sterbenden das Jammerschrein.

Wie bleich dort durch des Morgens Purpurdämpfe
Der Halbmond über Stambul blinkt!
O Zeit der Wehen und der Todeskrämpfe,
Bevor er ganz hinuntersinkt!

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Gedicht: Auf dem Turm des Seraskiers von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auf dem Turm des Seraskiers“ von Adolf Friedrich Graf von Schack präsentiert eine vielschichtige Reflexion über Schönheit und Vergänglichkeit, über die Erhabenheit der Natur und die Unausweichlichkeit des menschlichen Schicksals. Das lyrische Ich, das sich auf einem Turm befindet, erlebt einen Moment überwältigender Schönheit, während die Morgensonne die Kaiserin der Städte (vermutlich Konstantinopel/Istanbul) in ein goldenes Licht taucht. Die ersten Strophen zeichnen ein lebendiges Bild von der natürlichen Pracht: das Rauschen des Windes, der Einlass des Bosporus durch die Symplegaden, die Segelboote auf dem Hellespont, der Olymp in der Ferne.

Die Beschreibung der Stadt und ihrer Umgebung ist reich an Sinneseindrücken: das Glühen der Kuppeln und Minarette, die Friedhöfe, Brunnen und das Hippodrom, eingebettet in das Dunkelgrün der Zypressen. Der Dichter nutzt eine präzise, detailreiche Sprache, um die Szenerie vor dem inneren Auge des Lesers zu entfalten. Doch diese Idylle wird von einem düsteren Unterton durchzogen. Bereits in der vierten Strophe trübt sich der Blick des lyrischen Ichs. Die Schönheit der Stadt wird von der Ahnung kommender Katastrophen überschattet.

Die letzten Strophen des Gedichts sind von apokalyptischen Bildern geprägt. Der Dichter sieht am Horizont eine „düstre Wetterwolke der Geschicke“, die mit „der Zukunft Schrecken“ beladen ist. Er erahnt den Ansturm der Flotten, den Schlachtdonner, das Flammenzischen, das Sterben und das Jammern der Menschen. Die Natur wird zum Schauplatz des Untergangs, und die Schönheit der Morgenröte wird von den Grauen des Krieges durchdrungen. Der Halbmond, der über der Stadt blinkt, wird zum Sinnbild des Todes, der die Stadt in den Schatten hüllt.

Das Gedicht ist ein eindringliches Beispiel für die romantische Melancholie, die von der Wahrnehmung der Vergänglichkeit alles Irdischen geprägt ist. Es verbindet die Freude am Schönen mit der Erkenntnis der Unvermeidlichkeit des Schicksals. Die Gegenüberstellung von Schönheit und Zerstörung, von Licht und Dunkelheit, erzeugt eine tiefgründige Spannung, die den Leser dazu anregt, über die Flüchtigkeit des Lebens und die Widersprüchlichkeiten der menschlichen Existenz nachzudenken. Die Perspektive vom Turm des Seraskiers ermöglicht einen umfassenden Blick auf das Geschehen, der die Erhabenheit des Augenblicks mit der Dramatik der kommenden Ereignisse kontrastiert.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.