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An Jakob Grimm

Von

Dahin ist längst der schöne Traum Deutschlands, des einen, ganzen,
Wir sehn des Kaiseradlers Flaum zersetzt im Winde tanzen,
Seit Deutschlands Zepter barst, und sie um des Reichsapfels Schnitten
Wie hungernd Bettelvolk und wie genäsch’ge Knaben stritten.

Das ist dahin! Doch hat die Zeit der Wirrung nicht vernichtet
Germania’s Geist; der hat ins Herz der Edlen sich geflüchtet,
– Wie Karol’s Ring der Treue tief versenkt im See von Aachen, –
Drin träumt er nun Vergangenheit und ahnt ein schön Erwachen.

Da schlief er zwar, doch traun, er lebt! er weiß, daß ihn zu schützen
Des Busens Bollwerk nicht erbebt, des Worts Karthaunen blitzen,
Daß Burg ihm ragt noch fest: der deutschen Sprache Einheit,
Ein Banner sich nicht beugen läßt: der deutschen Treue Reinheit! –

Da wußten sie, es sitz’ ein Mann in Göttingen, der stiere
In alten Pergamentenwust, in gothisches Geschmiere;
Er dauert sie, daß Urweltstaub ihm so die Lungen beize,
Und die verblaßte Ahnenschrift die Augen überreize.

Sie ahnten nicht, daß an dem Tag der Prüfung und Gefahren
Der bleichen Lettern Schwarm um ihn als Mannenvolk in Schaaren,
Ein Heer, gepanzert, kerngesund vom Scheitel bis zur Zehe,
Jahrhundertstaub sich schüttelnd von den Sohlen, einst erstehe!

Sie ahnten nicht, vergilbt Papier werd’ in der Hand des Treuen
Urkunde deutscher Ehre, sich so blank und rein erneuen,
Ein Dokument mit goldner Schrift und marmorschweren Blättern,
Kein Spiel des Winds, der Albions Prachtflotten mag zerschmettern!

Sie ahnten nicht, daß einst ein Paar von kleinen Menschenlippen,
– Befugt nur von den Herrn der Welt zu Kuß und Humpennippen,
Und etwa noch zum Meineidspiel, – ein Wort aussprechen möge,
Das dröhnend, nachgehallt vom Belt bis an die Alpen flöge!

O Preis und Ruhm der Wissenschaft! Es gibt der sonst so armen
Der Thron selbst heut als Ehrenwacht Dragoner und Gendarmen!
Fürwahr, wo solche Männer fortverbannt, landflüchtig reisen,
Müßt strafend ihr nicht aus dem Land, nein, in das Land verweisen!

Du aber, Mann der Treu’ und Ehr’, den wir so herrlich tragen
Das Banner deutschen Wortes sahn, du weißt aus alten Sagen:
Wenn wo ein Heer feldflüchtig ist, versprengt auf irren Wegen,
Ruht auf der letzten Fahne noch ein zaubervoller Segen;

Und wer sie trägt, deß Haupt wird sie als Baldachin umwiegen,
Ein Ehrenmantel wird sie stolz um seine Schultern fliegen,
Sie wird, thut’s Noth, ihn schützend auch als goldne Wolk’ umschweben,
Und ihn, verschleiert all in Glanz, unwürd’gem Volk entheben.

Getrost! Noch steht die schönste Burg, der deutschen Sprache Veste:
O daß sie, deine Wartburg, dich bewirth’ und schirm’ aufs Beste!
Du rufst von ihren Zinnen dann – wer bricht die je in Trümmer?
»Ob Alles auch verloren sei, ist’s doch die Ehre nimmer!«

Beklagen lernt’ ich heut es erst, daß meine Jugend ferne!
Zu Göttingen, der guten Stadt, wär’ ich Studiosus gerne,
Vor deinem Haus ein Ständchen dir Guitarrenklangs zu schüttern
Daß nicht die Scheiben nur davon, auch Herzen sollten zittern;

Daß bis Hannover hin der Sang sich schwänge wundertönig
Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König;
Versteht er auch des Deutschen Lied von deutscher Ehre schwerlich,
Wird sich wohl Einer finden dort, ihm’s zu verwälschen ehrlich.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An Jakob Grimm von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An Jakob Grimm“ von Anastasius Grün ist eine Huldigung an den Sprachwissenschaftler und Germanisten Jacob Grimm und eine leidenschaftliche Verteidigung der deutschen Sprache und Kultur in einer Zeit politischer Zerrissenheit. Es ist ein politisch-patriotisches Gedicht, das die Bedeutung der deutschen Sprache als Bollwerk gegen die Zersplitterung und den Verlust nationaler Identität betont.

Im ersten Teil des Gedichts wird die politische Zerrissenheit Deutschlands nach dem Scheitern der Einigungsbemühungen thematisiert. Der „schöne Traum“ eines vereinten Deutschlands ist zerbrochen, und die „Streitigkeiten“ um die politische Macht werden als Zeichen des Verfalls dargestellt. Diese einleitenden Strophen dienen dazu, den Kontrast zu dem darauffolgenden Lob auf die deutsche Sprache und Kultur zu verstärken. Die Sprache, die „Germania’s Geist“ in den Herzen der „Edlen“ bewahrt, wird zur letzten Bastion der Einheit, nachdem die politischen Strukturen zerfallen sind.

Der Hauptteil des Gedichts konzentriert sich auf Jakob Grimm als Hüter der deutschen Sprache und Kultur. Grimm wird als Gelehrter dargestellt, der tief in die Geschichte und die alten Schriften eingetaucht ist. Die „bleichen Lettern“ werden zu einem Heer, das im Moment der Bedrohung wieder zum Leben erwacht und die deutsche Ehre verteidigt. Das Gedicht preist die Wissenschaft und die Geistesarbeit als Grundlage für den Erhalt der nationalen Identität, insbesondere in Zeiten politischer Wirren. Die Worte Grimms werden als mächtig und einigend dargestellt, stärker als politische Einflussnahmen.

Die letzten Strophen sind eine direkte Ansprache an Grimm und eine Ermutigung. Grün beschreibt die deutsche Sprache als eine „Burg“ und Grimm als ihren Verteidiger. Er wünscht sich, Grimm bei seiner Arbeit unterstützen zu können und in dessen Gelehrtenkreis zu sein. Das Gedicht endet mit einem Appell an Grimms unerschütterlichen Glauben an die deutsche Ehre, selbst wenn alles andere verloren zu sein scheint. Die letzten Zeilen betonen die unzerstörbare Kraft des Geistes und der Sprache. Der Dichter wünscht sich, dass Grimm sich an das Zitat erinnert, „Ob Alles auch verloren sei, ist’s doch die Ehre nimmer!“

Insgesamt ist das Gedicht eine Hommage an Jakob Grimm und an die deutsche Sprache als wesentliche Grundlage für die kulturelle Identität eines Volkes. Es ist ein Ausdruck von Hoffnung und Widerstand in einer Zeit politischer und gesellschaftlicher Umbrüche. Die Sprache wird als Hort der Wahrheit und Einheit gefeiert, als ein unverwüstliches Erbe, das über politische Veränderungen hinaus Bestand hat.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.