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Ein Räthsel vom Czaren

Von

1842.

Dans les grandes choses les hommes se montrent, comme il leur convient de se montrer, dans les petites ils se montrent comme ils sont.

Ein seltsam unerschöpflich Schatzkästlein
Besitzt der Czar; man nennt es sonst Ural;
Er faßt mit sichrer Hand und kluger Wahl
Was Jeden lockt, aus dem granitnen Schrein:
Platin′ und Silber, Edelstein und Gold,
Denn guten Diensten frommt auch guter Sold.
Die Kette kann ein Kranz sein erzgegossen,
Der Kranz ein Kettenring aus Blüthensprossen;
Der Czar, indem er kränzt, weiß auch zu ketten,
Und Kreuze, Münzen, Tuladosen retten
Des Zaubrers Ehren und vor allen mächtig
Der magische Vasenbau aus Malachit!
Wie des Versuchers Worte gleißend tritt
Des Nordens Kunstwerk kalt und glatt und prächtig
Zum vielversuchten Kanzlergreis in Wien,
In Ludwigs Schloß, zum Schwager in Berlin,
Zur anmuthreichen Brittenmajestät.
Wer wüßte mit so guter Wahl zu schenken?
Dort prunkt das malachitne Angedenken
Ein Spiegel blank, drin euer Bild ihr seht;
So mildes Grün so zähem Stoff vereint,
Daß die Erinn′rung selbst verkörpert scheint;
Des Erzes Wucht zu schlanker Form beschwingt,
Wie schweres Leid zu leichtem Hauch sie bringt;
Der grüne Schmelz voll Adern, wie in hellen
Erinn′rungsbildern dunkle Schattenstellen. –
Daß von Bewunderung ihr ganz entflammt,
Werft eure Blicke nach den Arbeitstätten,
In Urals Schachte, draus das Kunstwerk stammt:
Seht, Künstlerhände schufen′s, die in Ketten!
Des Kaukasus, der Stepp′ und Polens Söhne
Begeistert Meister Czar dort für das Schöne.

Es hat der Wind, der Lüfte freier Sohn,
Der ungehemmt in Wäldern und Gehegen
Sich Laub und Blumen pflückt zu Kranz und Kron′
Und kindisch dann verstreut auf seinen Wegen,
Es hat der Wind in noch nicht fernen Tagen
Ein Zeitungsblatt nach dem Ural verschlagen,
Und der Gefangnen Einer hat′s gefunden
Und liest′s den Brüdern vor in Mußestunden:

»Vernehmt ein Beispiel von des Czaren Güte!
Es lenkt ins Schloßportal am Newastrand
Ein Reisewagen mit dem Sechsgespann;
Heimführt der Czarewitsch – den Gott behüte! –
Die Braut, ein Fürstenkind aus deutschem Land.
Nun sie die Marmortreppen steigt hinan,
Beschleicht ihr Herz Weh der Verlassenheit,
Fremd Alles hier, die Heimat weit, so weit!
Erinn′rung hat das deutsche Blut beflogen
Der Lieben in der Heimat rückgelassen
Als durchs Spalier sie goldbetreßter Massen,
Feinschlitz′ger Augen, stumpfer Nasen zogen.
Beugt alle Rücken krumm die Last der Tressen?
Treuherz′ger Mienen denkt sie ihrer Hessen,
Joli′s des Hündleins selbst! Hier wär′s zur Stunde
Der treuste, doch nicht hündischste der Hunde.
Da naht der Czar. Er führt, galant wie immer,
Die Schwiegertochter in ihr Wohngemach.
Wie ward ihr da! Das ist dasselbe Zimmer,
Das sie im Elternhaus verlassen kaum!
Da fehlt kein Möbelstück, kein Bild, kein Fach!
Dieselbe Prachttapete schmückt den Raum,
Dieselben Bilder zieren rings die Wände,
Im Rahmen dort das Bildwerk ihrer Hände
Halb fertig erst, gestört vom Hochzeittraum;
Hier kunstgeschnitzt die Mahagonistelle,
Modernstem Götzendienst ein Hausaltar,
Noch stehn die Götzlein in altgoth′scher Zelle,
Die Rococofigürchen blank und niedlich,
In Eintracht noch von Porzellan das Paar
Chines′ und Gattin, nickend unermüdlich;
Der Heimat Blumen dort in bunter Frische
Entgegenduftend ihr vom Blumentische,
Des Lieblingsdichters Liederbuch daneben,
Dort seine Büste in der grünen Nische
Von rankenden Kobä′n und Epheureben,
Ja Alles rings wie in der Heimat eben,
Das Silberglöcklein auf dem Tisch sogar!«
»Ob hell sein Klang geblieben?« frug der Czar,
Und prüfend schellt jetzt der Prinzessin Hand,
Aufspringt die Thür, es stürzt herein die Schaar
Der alten Diener aus dem Hessenland,
Vom Marschall, der ihr dient′ an Vaters Hofe,
Bis zu dem Musterbild der deutschen Zofe
Joli bellt wedelnd durch die Menge dringend,
Vor Lust empor an seiner Herrin springend.
Da hat ein süßes Weh ihr Herz bezwungen
Und Thränen sprechen, wo gelähmt die Zungen.« –

Der Leser schwieg. Da sprach ein Gramgefährte:
»Wie fand solch Zartgefühl und jene Härte,
Die uns verdarb, in Einem Herzen Stätte?
Mit Milde hat Czar Nikolaj, ich wette,
Auch in die Schellen unsres Arms gelegt
Die Wunderkraft, die jenes Glöcklein trägt;
Laßt einmal proben uns den Klang der Kette!«
Sie rasseln mit den Ketten, – seltsam Läuten!
Doch, traun, es wirkt! Aus dunkler Dämm′rung schreiten
Hervor der Heimat Bilder wahr und licht,
Bekannte Städte, Thäler, Ströme, Straßen,
Manch süßer Blick, manch theures Angesicht,
Die Lieben all, die sie dort rückgelassen! – –
Trost der Gefangnen, milde Czarenspende!
Ihr Antlitz senken All′ in ihre Hände,
Es hat ein herbes Weh ihr Herz bezwungen
Und Thränen sprechen, wo gelähmt die Zungen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Räthsel vom Czaren von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Räthsel vom Czaren“ von Anastasius Grün ist eine politische Satire, die die Politik des russischen Zaren Nikolaus I. kritisiert. Es verwendet eine komplexe Symbolik, um die Scheinheiligkeit und das manipulative Vorgehen des Zaren zu veranschaulichen, insbesondere in Bezug auf seine Beziehung zu seinen Untertanen und anderen europäischen Mächten.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Zaren als Besitzer eines „seltsam unerschöpflich Schatzkästlein“ – ein Schatzkästchen, das eine Vielzahl von Werten wie Gold, Silber und Edelsteine enthält. Diese Schätze symbolisieren die Ressourcen und die Macht des Zaren, die er jedoch geschickt einsetzt, um seine politische Agenda zu verfolgen. Die Erwähnung von Geschenken, wie Malachit-Vasen, an wichtige Persönlichkeiten in Europa, wie den Kanzler in Wien, zeigt, wie der Zar seine Macht nutzt, um sich Verbündete zu sichern und seinen Einfluss zu erweitern. Die Beschreibung des Malachits selbst, mit seinem grünen Schmelz, der an Erinnerungen erinnert, betont die manipulative Natur des Zaren, der versucht, durch scheinbare Großzügigkeit und Freundlichkeit Loyalität zu gewinnen.

Der zentrale Teil des Gedichts erzählt eine Geschichte, in der die Braut des Czarewitsch, eine deutsche Prinzessin, in einem Raum empfangen wird, der ihrer Heimat täuschend ähnlich ist. Dieser Raum ist mit Details aus ihrer Vergangenheit gefüllt, von Möbeln und Kunstwerken bis hin zu ihrem Lieblingsbuch und sogar ihrem Hund. Diese Szene symbolisiert die Art und Weise, wie der Zar versucht, durch Nachahmung und Schein die Herzen der Menschen zu gewinnen. Er schafft eine Illusion von Wärme und Vertrautheit, um die Prinzessin zu besänftigen und ihren Widerstand zu brechen. Die Präsenz des Hundes Joli, der die Prinzessin freudig begrüßt, unterstreicht die manipulative Natur des Zaren, der durch solche emotionalen Gesten versucht, die Menschen zu kontrollieren.

Die Gefangenen, die die Geschichte hören, erkennen jedoch die wahre Natur des Zaren. Sie erkennen, dass die gleiche Macht, die der Prinzessin Trost spendet, auch für ihre eigene Gefangenschaft verantwortlich ist. Durch das Klirren ihrer Ketten erzeugen sie Bilder ihrer eigenen Heimat, ein Zeichen dafür, dass der Zar zwar materielle Illusionen erschaffen kann, aber die Sehnsucht nach Freiheit und Heimat nicht wirklich stillen kann. Die letzten Zeilen, in denen „Tränen sprechen, wo gelähmt die Zungen“, verdeutlichen die Ohnmacht und das Leid der Gefangenen, die durch die scheinbar milde Geste des Zaren nur noch tiefer in ihrer Verzweiflung gefangen sind. Das Gedicht offenbart damit die bittere Ironie, dass die vom Zaren angebotene „Milde“ letztendlich nur eine Form der Kontrolle und Unterdrückung ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.