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China in Italien

Von

Hingekauert an der Straßen
Eine Aloe sich dehnt,
Wie ein Knäul von Gliedesmaßen,
Breit, gemächlich hingelehnt.

So im fernen China sitzen
Mag ein feister Mandarin,
Streckend blanke Nägelspitzen
Selbstbehaglich vor sich hin.

Eine Pinie sprießt daneben,
Neigt auf sie ihr buschig Zelt,
Wie sein Sklav’ ob Jenem eben
Baldachin und Schirmdach hält.

Hundert Jahre ziehn die Straße!
Und von Sonnenschein welch Meer!
Lenzesblüthen, welche Masse!
Staub und Wandrer, welch ein Heer!

Endlich spürt so seltsam mächtig
Aloe ihr Herz bedrängt,
Bis ein Schaft, gar schlank und prächtig,
Blüthenvoll die Hülle sprengt.

Erste Blüthe, helle, blanke,
Die den kahlen Schaft umlaubt!
Erster blühender Gedanke
Um des Mandarinen Haupt!

Weh, daß einmal nur in Tagen
Des Jahrhunderts blüht dein Gruß!
Wehe, daß, wer dich getragen,
Auch an dir verscheiden muß!

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Gedicht: China in Italien von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „China in Italien“ von Anastasius Grün ist eine bildreiche Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, der Transformation und der Verbindung von scheinbar gegensätzlichen Welten. Es beginnt mit einer Beobachtung in Italien, wo eine Aloe-Pflanze die Assoziation zu einem chinesischen Mandarin weckt. Diese Gegenüberstellung von europäischer und asiatischer Kultur, von Natur und menschlichem Dasein, bildet den Ausgangspunkt für eine tiefere Betrachtung. Die anfängliche Beschreibung der Aloe, die an einen „feisten Mandarin“ erinnert, etabliert eine Verbindung zwischen dem Pflanzenreich und der menschlichen Welt, die sich im Laufe des Gedichts weiter verfestigt.

Die folgenden Strophen vertiefen diese Vergleiche. Die Pinie, die sich neben der Aloe erhebt, wird als der „Sklav“ des Mandarinen interpretiert, wodurch eine Hierarchie und Abhängigkeit impliziert wird. Diese Metaphern verweisen auf die komplexen Beziehungen zwischen Natur und Kultur, zwischen Macht und Unterwerfung. Der „Sonnenschein“ und die „Lenzesblüthen“ in der vierten Strophe lassen eine lebendige und dynamische Umgebung erkennen, die dem langsamen Wachstum der Aloe gegenübersteht. Diese Gegenüberstellung von vergänglicher Schönheit und dem langsamen Werden der Pflanze bereitet den Boden für das zentrale Thema der Vergänglichkeit.

Der Höhepunkt des Gedichts ist der Moment, in dem die Aloe zu blühen beginnt. Dieser Akt des Blühens, des Aufbrechens und der Entfaltung, wird als Metapher für den ersten „blühenden Gedanken“ im Geiste des Mandarinen interpretiert. Die Blüte wird mit einem „hellen, blanken“ Gruß verglichen, der die Bedeutung des Momentes unterstreicht. Doch die Schönheit und Vollkommenheit der Blüte sind von kurzer Dauer. Der abschließende Vers, der das Verscheiden der Aloe andeutet, betont die Unvermeidbarkeit des Verfalls und der Vergänglichkeit des Lebens.

Die Metaphorik des Gedichts ist eng mit der Idee der Transformation verbunden. Die Aloe, die in ihrer anfänglichen, passiven Form an den chinesischen Mandarin erinnert, durchläuft eine Wandlung, die in der Blüte ihren Höhepunkt erreicht. Diese Transformation ist ein Sinnbild für die Veränderungen, denen alles Leben unterworfen ist. Das Gedicht ist somit eine Reflexion über die Schönheit und das Glück, aber auch über das Wissen, dass diese Momente flüchtig sind und letztendlich vergehen werden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.