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An Mendelssohn

Von

Um Ostern war′s; noch strömte das Gewühl
Zum Dom; doch lang an einem Pfeiler schon
Saß ich, zu lauschen deinem Orgelspiel.
Die Fuge hobst du an – beim ersten Ton
Erkannt′ ich sie, die keiner so mit freister
Beherrschung spielt, wie du, o Mendelssohn,
Du letzter Enkel unsrer großen Meister,
In den, so glaubt′ ich oft, der alte Bach,
Der hehre Mozart strömten ihre Geister!
Du, dessen Kunst nicht stutzerhaft und flach,
Wie die des Tags, mit Düften des Lawendels
Sich parfümiert, in leeres Weh und Ach
Dahinschmilzt, oder flüchtigen Getändels,
Kokett sich schmückt mit ihrem eignen Quark,
Nein, voll und tief zur Seele dringt wie Händels
Posaunenstöße, die bis in das Mark
Der Erde dringen und die Gräber sprengen! –
So saß ich denn und lauschte, wie bald stark
Gleich Strömen, wenn sie Wog′ an Woge drängen,
Die Töne um mich fluteten und schwollen,
Bald, Tropfen gleich, die sich an Blüten hängen,
Sanft rieselnd aus den Orgelpfeifen quollen.
Mein Herz erzitterte dem Klang – so schwanken
Am Wassersturze bei der Fluten Rollen
Die Lilien – in mir hoben sich Gedanken,
Die bald empor mit den gewalt′gen Streben
Sich schwangen, bald zur Tiefe niedersanken.
Um mich, so schien′s, in wunderbarem Leben
Bewegte sich′s; die Töne deiner Fuge
Sah ich als Geister durch die Hallen schweben;
Sie flatterten herab im Wirbelfluge;
An den Altären losch der Kerzen Glimmen;
Die Luft erbebte ihrem Atemzuge,
Und das Gewölbe dröhnte von den Stimmen.
Hier sah ich sie in Blend′ und Nische kauern,
Dort aufwärts zu den höchsten Gurten klimmen,
Dann niederstürzen, wie in Winterschauern
Die welken Blätter. Wunderbar verschlungen,
Schwarz diese und den Blick verhüllt mit Trauern,
Im Lichtkleid andere; die Dämmerungen
Des Doms durchglitten sie, im Bogengang
Sich suchend, rufend sich mit Geisterzungen,
Dann wieder fliehend. O und ihr Gesang!
Er rollte, furchtbar, wie das Miserere,
Die Wölberippen hin; er schluchzte bang,
So wie, das Haupt gesenkt, das kummerschwere,
Die Mutter an dem Kreuz des hehren Sohnes;
Er scholl dem Aufruhr gleich der Himmelsheere,
Da Cherubim am Fuß des ew′gen Thrones
Auf Lucifer die Flammenschwerter schwangen.
Aus Abgrundtiefen hört′ ich wilden Hohnes
Des Gottverfluchten Rufe – da verklangen
Die Töne alle – einen Trauerflor
Mit nächt′gen Falten sah ich niederhangen;
Kein Strahl glomm aus dem Todesdunkel vor;
Doch Myrrhenduft fühlt′ ich den Dom durchwehen;
Das Auge nicht, der Geist sah in dem Chor
Den Katafalk des heil′gen Toten stehen;
Und mählich regten sich die Lüfte wieder;
Ein Weinen wurde laut, ein sanftes Flehen;
Die Stille selber tönte Klagelieder;
Die Weiber nahten, Spezerei zu bringen;
Die Engel stürzten auf die Leiche nieder
Und fächelten das Haupt mit ihren Schwingen;
O und sie selber kam, die Schmerzenreiche,
Und sank zum Sohne hin mit Händeringen
Und küßte seine Stirn, die heilig-bleiche!
Da dünkte mich, als weinte selbst der leere
Sternlose Raum um die geliebte Leiche,
Als sei das Weltall selbst nur eine Zähre,
Die aus dem Blick des Ewigen gequollen
Und nun zerrinne; über ferne Meere
Hört′ ich den letzten Donner sterbend rollen,
Und meine Seele stürzte voll Verzagen
In finstre Tiefen – doch mit wundervollen,
Gewalt′gen Tönen in die Welt der Klagen
Ergoß sich Engelstimmenklang von oben;
Ein Glanz, wie von des ew′gen Morgens Tagen,
Brach in die Grabesnacht; in Flocken stoben
Die Wolken hin – in seine eignen Falten
Barg sich das Dunkel, das der Tod gewoben.
Ich hörte aus des Abgrunds tiefsten Spalten
Den Jubelchor, wie ferner Meere Branden,
Ja hörte, wie die Himmel wiederhallten:
Der Heiland ist aus seiner Gruft erstanden!

So dacht′ ich an den Meister viel, den teuren,
Da noch die tiefste Seele wunderbar
Von den Gebilden, von den ungeheuren,
Durch ihn beschworenen, erfüllt mir war.
Noch wogte um mich her im Wirbelstrome
Der Fugenklang; in seltsam fremder Schar
Durchzogen noch den Geist mir die Phantome,
Die mich umschwebt zu jener Osterstunde,
Der unvergeßlichen, im alten Dome.
Da flog durch Deutschland hin die Trauerkunde,
Daß Mendelssohn, der herrliche, geschieden;
Ein Schmerzensruf entrang sich jedem Munde,
Ihm nachgesandt in seinen Himmelsfrieden;
Ich aber hielt zurück die Totenklage
Und dachte still: Er war nicht von hienieden!
Von jenen Geistern ward er heimgetragen!

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Gedicht: An Mendelssohn von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An Mendelssohn“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine elegische Ode, die das musikalische Erleben des Dichters in einem Dom anlässlich eines Orgelspiels von Felix Mendelssohn Bartholdy festhält und gleichzeitig auf dessen späteren Tod anspielt. Das Gedicht zeichnet sich durch eine tiefe emotionale Resonanz aus und verbindet die Beschreibung der musikalischen Erfahrung mit einer Reflexion über Leben, Tod und die Unsterblichkeit der Kunst.

Die Interpretation des Gedichts beginnt mit der Beschreibung der atmosphärischen Umgebung: dem Dom, dem festlichen Anlass (Ostern) und dem Spiel Mendelssohns. Der Dichter lauscht der Musik und erlebt sie als eine tiefgreifende, existenzielle Erfahrung. Die Fuge, von Mendelssohn mit „freister Beherrschung“ gespielt, löst eine Flut von Emotionen und Visionen aus. Die Musik wird zu einer Quelle von Bildern, die zwischen himmlischer Erhabenheit und irdischer Trauer oszillieren. Schack vergleicht die Musik mit Händels Posaunenstößen, die bis in das „Mark der Erde dringen“, und deutet damit die transzendente Kraft der Musik an. Er beschreibt die Musik als etwas, das die Seele tiefgreifend berührt, wie das Weinen des Meisters.

Die poetische Gestaltung des Gedichts ist reich an Bildern und Metaphern. Die Musik wird personifiziert und als Geister durch die Hallen des Doms dargestellt, die in unterschiedlichen Formen erscheinen: mal sanft und tropfenartig, mal gewaltig wie Ströme. Die Bilder des Doms und der Musik verschmelzen, wodurch eine mystische Atmosphäre entsteht. Der Dichter sieht die Geister der Musik, die sowohl himmlische als auch höllische Aspekte annehmen. In einem Moment erscheinen sie als Engel, im nächsten als verfluchte Geister. Dies deutet auf die universelle Natur der Musik hin, die sowohl Freude als auch Leid, Leben und Tod umfasst. Der Dichter verarbeitet die tiefe Trauer über den Tod Mendelssohns.

Die zweite Hälfte des Gedichts reflektiert über den Tod Mendelssohns, der in der Erinnerung an das Oster-Erlebnis evoziert wird. Die Szene im Dom wird zur Metapher für den Tod und die Auferstehung. Das Gedicht mündet in ein Gefühl der Hoffnung und des Trostes. Der Dichter erkennt in Mendelssohns Musik die Unsterblichkeit des Geistes und die Überwindung des Todes. Das Gedicht schließt mit einer Huldigung an Mendelssohn, der als „von jenen Geistern heimgetragen“ beschrieben wird.

Insgesamt ist das Gedicht eine bewegende Auseinandersetzung mit der Kraft der Musik, die in der Lage ist, tiefe emotionale Erfahrungen zu erzeugen und transzendente Erkenntnisse zu vermitteln. Es feiert die Kunst als ein Mittel zur Überwindung der Vergänglichkeit und zur Erlangung eines tieferen Verständnisses der menschlichen Existenz. Die Beschreibung des musikalischen Erlebnisses wird zur Grundlage für eine Reflexion über das Leben, den Tod und die Unsterblichkeit des Geistes, die letztendlich in einem Gefühl des Trostes und der Hoffnung mündet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.