Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , ,

Die Ruinen

Von

»Ach, wie ungemein poetisch
Die Ruinen auf den Höhn!«
Fräulein, Sie sind sehr ästhetisch;
Ja, Ruinen, sie sind schön.

Und das Fräulein, drob geschmeichelt.
Fährt in der Extase fort,
Während sie den Bulldog streichelt:
»Wie poetisch ist es dort!

Grüner Wald, das ew’ge Leben,
Immer sprossend, immer jung!
Und der greise Stein daneben:
Träumende Erinnerung!

Epheu schlingt sich um die Blöße,
Will sie grün erhalten noch;
O du Bild zerfallner Größe,
Wie poetisch bist du doch!«

Fräulein, Sie sind sehr ästhetisch,
Sie empfinden schön und wahr,
Und Sie sagen’s so pathetisch,
Daß es selber mir wird klar.

Ja, ich sehe: auf den Höhen
Sind nur noch Ruinen da!
Wo die alten Zwinger stehen,
Rauscht der Wald Hallelujah!

In die Burgen der Tyrannen
Drang der Geist zerstörend ein,
Trieb die Räuberbrut von dannen,
Warf hinunter Stein auf Stein.

Heil’ger Geist, du ein’ge Dreiheit,
Gott im Menschen, habe Dank!
Auf den Bergen nur ist Freiheit!
Nur im Thal herrscht noch der Zwang.

Heiser schreien dort die Raben
Um den Schutt der Tyrannei,
Ihre Knochen sind begraben,
Und der Geist, der Geist ist frei!

Ja, mein Fräulein, Gottvertrauend
Schau‘ ich auf die stolzen Höhn!
Hochpoetisch, Herzerbauend
Sind Ruinen, wunderschön!

Wunderschön die düstern Mienen
Durch das grüne Laubgewind!
Doch das Schönste an Ruinen
Ist, daß sie Ruinen sind.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Ruinen von Adolf Glaßbrenner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Ruinen“ von Adolf Glaßbrenner ist eine ironische Satire, die sich über die romantisierende Sichtweise auf Ruinen lustig macht. Es nutzt die Ästhetik der Ruinen, um Kritik an der vorherrschenden romantischen Denkweise und am Schönheitsideal der Zeit zu üben. Der Autor setzt dabei die naive Begeisterung eines Fräuleins über die angeblich poetische Schönheit von Ruinen als Grundlage für seine Kritik ein. Die Wiederholung der Phrase „Fräulein, Sie sind sehr ästhetisch“ verstärkt den spöttischen Ton und enthüllt die Oberflächlichkeit der Bewunderung des Fräuleins.

Das Gedicht wechselt zwischen der vermeintlich romantischen Sichtweise des Fräuleins und der kritischen, realistischen Perspektive des Erzählers. Das Fräulein schwärmt von der Idylle der Ruinen, dem grünen Wald, der ewigen Jugend und der „träumenden Erinnerung“. Glaßbrenner nutzt diese übertriebene Romantik, um sie zu hinterfragen und die politische Implikation der Ruinen zu beleuchten. Er konfrontiert die romantische Verklärung mit der harten Realität der Zerstörung, des Zerfalls und der Überwindung von Tyrannei. Die Ruinen werden so zu einem Symbol für den Untergang alter Ordnungen und den Aufstieg neuer, freier Gesellschaften.

Der Wendepunkt in der Interpretation des Gedichts liegt in den Versen, die die Zerstörung der „Burgen der Tyrannen“ durch den „Geist zerstörend“ feiern. Hier zeigt sich die politische Botschaft des Gedichts: Ruinen sind nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch das Ergebnis historischer Prozesse des Wandels und der Befreiung. Die Freiheit, die durch den Fall der Tyrannen erreicht wurde, wird als ein wertvolles Gut dargestellt, das über die reine Ästhetik hinausgeht. Die „heiser schreienden Raben“ und die begraben „Knochen der Tyrannei“ unterstreichen die endgültige Überwindung der Unterdrückung.

Die letzte Strophe fasst die Ironie des Gedichts zusammen. Die Wiederholung des Lobes der Schönheit der Ruinen, verbunden mit dem entscheidenden Zusatz „Doch das Schönste an Ruinen / Ist, daß sie Ruinen sind“, verdeutlicht die wahre Botschaft. Die Schönheit liegt nicht nur in den Ruinen selbst, sondern in ihrer Bedeutung als Zeichen des Wandels, des Fortschritts und der Befreiung. Glaßbrenner entlarvt die reine Ästhetisierung als oberflächlich und lenkt den Blick auf die politische und soziale Dimension, die den Ruinen ihren wahren Wert verleiht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.