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Des Zechers Grab

Von

Der Bach tief unterm Klippenhang
Rauscht in Sirenensängen,
Daß, hart am Felsrand, schwindelbang,
Gekrümmt, die Fichten hängen.

Am Kreuz von Holz spricht noch davon
Die Schrift mit trunk’nem Lallen,
Daß ein bezechter Alpensohn
Sich hier zu Tod gefallen.

Und wie ich lauschend Aug’ und Ohr
Geneigt zur Abgrundstiefe,
Da war mir’s, als ob draus empor
Dumpf eine Stimme riefe:

»Zechbrüderlein, hilf mir doch aus
Dem Felsenkeller wallen!
Sieh, in ein leeres Faß, o Graus,
Bin ich dahier gefallen!

Durchs Spundloch leuchtet karg und gelb
Der Tag in meine Tonne:
Dein Himmel ist mein Faßgewölb,
Mein Spundloch deine Sonne!

Und wenn dieß karge Licht verschwand,
Dann funkelt Weinsteinglimmer
An meines Fasses dunkler Wand!
Du nennst es Sternenschimmer!

Was rauscht da? Weinfluth hör’ ich voll
Aus offnen Zapfen jagen!
Dir ist’s ein Bach! ein, Wasser soll
Sich doch zu mir nicht wagen!

Träum ich im grünen Friedhofraum
Bei Brüdern und Gespielen,
Wo Engel unsrer Stirne Saum
Mit Tannenreisern kühlen?

Nein, Weinlaub seh’ ich über mir
In Kränzen lieblich schwanken!
Sprich, oder wehn um Klippen hier
Nur lose Epheuranken?

Ach, und zerfiel sich nicht mein Leib
An Klippen und in Lüften?
Wie Weinesblüth’ und Most zerstäub’
Er froh in Schaum und Düften!

Doch du, herabgeneigt zum treu’n
Vasallen mächt’ger Fässer,
Dein Rausch von Lenz und Sonnenschein
Ist er so gar viel besser?

Wohl bist, wo strauchelnd ich geschwankt,
Du sacht vorbeigeglitten;
Doch bin ich oft, wo du gewankt,
Aufrecht und fest geschritten.

O schlürf’ ihn ganz, den Goldpokal
Von Frühlingsduft und Rose,
Von Freiheit, Licht und Sonnenstrahl
Und Nachtigallgekose!

Ein süßer Taumel hebt den Schritt
Den Zechern und den Dichtern,
Wo scharfer Kies die Fersen schnitt
Den Armen, die da nüchtern!

In diesen Abgrund sinkst du nicht,
Doch anderswo in einen!
Geb’ einen Traum, so schön und licht,
Der Herr dir dann, wie meinen!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Des Zechers Grab von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Des Zechers Grab“ von Anastasius Grün ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, Rausch und Lebensweise, eingebettet in eine düstere, romantische Szenerie.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung einer malerischen, aber auch beunruhigenden Landschaft, die von einem tosenden Bach und überhängenden Fichten geprägt ist. Diese Naturbilder dienen als Kulisse für die eigentliche Erzählung: Das Grab eines Zechers, der durch einen Sturz starb. Der Text auf dem Holzkreuz deutet auf sein Leben im Rausch hin. Die erste Strophe etabliert eine Atmosphäre des Unbehagens, die durch die „Sirenensängen“ des Bachs und die „schwindelbang“ hängenden Fichten noch verstärkt wird, was auf eine existenzielle Bedrohung hindeutet. Die Natur ist hier nicht nur Kulisse, sondern wird in den Zustand des Sterbenden mit einbezogen.

Kernstück des Gedichts ist die imaginäre Stimme des toten Zechers, die aus dem Grab emporsteigt und den Lebenden anspricht. Er beklagt sein Schicksal, in einem leeren Fass gefangen zu sein, und vergleicht seine „Tonne“ mit dem Himmel. Seine Wahrnehmung der Welt ist verzerrt; er sieht die Sonne durch das Spundloch und Weinsteinglimmer anstatt Sterne. Die Stimme des Verstorbenen drückt eine Sehnsucht nach dem Wein aus, der für ihn ein Sinnbild des Lebens und der Genüsse war. Dies führt zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Frage, was im Leben wirklich zählt: Der Genuss, der Rausch oder die scheinbar nüchterne Welt der Lebenden?

Der Zechers Stimme wendet sich an den Lebenden und hinterfragt dessen Lebensweise. Er stellt die „Frühlingsduft und Rose“ und „Freiheit, Licht und Sonnenstrahl“ der Welt der Lebenden dem Rausch gegenüber und deutet an, dass auch der Lebende letztendlich in einem Abgrund versinken wird, wenn auch in einem anderen Sinne. Die letzte Strophe, in der ein süßer Taumel sowohl den Zechern als auch den Dichtern zugeschrieben wird, unterstreicht die universelle Sehnsucht nach einem Ausbruch aus der Realität und die Ambivalenz des Rausches. Das Gedicht endet mit einer Melancholie, die sowohl den Tod als auch das Leben umfasst.

Insgesamt ist „Des Zechers Grab“ ein komplexes Gedicht, das Themen wie Tod, Rausch, Verblendung und die Suche nach Sinn behandelt. Es ist geprägt von romantischen Elementen, der Verwendung eindrucksvoller Bilder und einer tiefen Melancholie. Das Gedicht ist eine Mahnung, die dazu anregt, über die eigene Lebensweise und die Bedeutung von Genuss und Verantwortung nachzudenken.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.