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Der Brief

Von

Nichts ist mir von dir geblieben
Als der Brief, den du geschrieben,
Meines Lebens höchstes Gut;
Mag das Auge mir erblinden,
Tröstung kann ich einzig finden,
Wenn es auf dem Blatte ruht.

Dann erstehn mir sel′ge Stunden
Mit den Wonnen, die geschwunden,
Wieder aus der Totengruft;
Und um meine wehmuttrunkne
Seele hauchen lang versunkne
Lenze ihren Blütenduft.

Ueber mir im Abendwinde
Rauscht das Wipfellaub der Linde
So wie ehmals wiederum,
Als wir Arm in Arm gelegen
Und nur mit des Herzens Schlägen
Zwiesprach hielten, wonnestumm.

Und dann ist mir, auf dem Blatte
Ruhe neben mir dein Schatte
In dem blassen Dämmerlicht;
O, an ihm im langen, langen
Kusse soll mein Mund noch hangen,
Wenn im Tod mein Auge bricht.

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Gedicht: Der Brief von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Brief“ von Adolf Friedrich Graf von Schack handelt von der tiefen Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe, die durch die greifbare Erinnerung an einen Brief aufrechterhalten wird. Der Sprecher des Gedichts, möglicherweise ein Mann, scheint von der Person, der der Brief einst geschrieben wurde, getrennt zu sein, sei es durch Tod, Entfernung oder das Ende der Beziehung. Das Gedicht konzentriert sich auf die emotionale Bindung an den Brief als Quelle des Trostes und der Erinnerung.

Der Brief wird als „meines Lebens höchstes Gut“ bezeichnet, was die enorme Bedeutung der Erinnerung an die verlorene Liebe unterstreicht. Das bloße Betrachten und Lesen des Briefes ermöglicht dem Sprecher, in die Vergangenheit zurückzukehren und die „sel’gen Stunden“ wiederzuerleben, die er einst mit der geliebten Person teilte. Diese sentimentale Reise in die Vergangenheit wird durch die sinnlichen Bilder der Natur, wie das „Wipfellaub der Linde“ und den „Blütenduft“ der „Lenze“, verstärkt, was die Erinnerungen noch lebendiger macht. Diese Natur-Metaphern wecken Bilder aus der Vergangenheit und verbinden sie mit dem gegenwärtigen Moment.

Das Gedicht gipfelt in dem Wunsch, die Erinnerung an die geliebte Person auch im Tod zu bewahren. Der Sprecher stellt sich vor, wie er im blassen Dämmerlicht, mit dem „Schatten“ der Geliebten neben sich, für immer an sie gebunden bleibt. Die Vorstellung, dass der Mund im Tod noch an einem Kuss hängen soll, symbolisiert die unsterbliche Liebe und die tiefe Sehnsucht nach Einheit mit der verlorenen Person. Diese letzten Zeilen sind ein kraftvolles Bekenntnis zur ewigen Natur der Liebe, die selbst den Tod überwinden kann.

Die Sprache des Gedichts ist klassisch und romantisch, mit klaren Reimen und einer einfachen, aber eindringlichen Bildsprache. Die Verwendung von Wörtern wie „Wonnen“, „wehmuttrunkne“ und „wonnestumm“ erzeugt eine Atmosphäre von Nostalgie und Melancholie, die die tiefe emotionale Reaktion des Sprechers auf die Erinnerung an die verlorene Liebe widerspiegelt. Der Brief dient hier nicht nur als Erinnerungsstück, sondern als Tor zu einer verklärten Vergangenheit, die der Sprecher in seiner Einsamkeit festhalten und bewahren möchte.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.