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Auf dem Pik von Teneriffa

Von

Wohin, o Herz,
Das fort und fort im Busen mich stachelt,
In welches Wagnis mich hast du verlockt?
Auf himmelnahem Gipfel,
Den kaum der Gedanke erklimmt,
Der einzig Atmende ich,
Im unendlichen Raume verloren;
Höher als ich nur der strahlende Orion,
Den Schild durchs Unermeßliche streckend!
Unten die Tiefe, die bodenlose,
Drin Meer und Inseln begraben.

Uralte Nacht,
Riesige Sphinx, die in dunkler Brust
Des Daseins Rätsel du hütest,
An deines Reiches Pforten
Hier steh′ ich voll Grauen,
Und schwindelnd, jähen Sturzes,
Vom Kraterrande des Feuerberges
Gleitet der Geist mir hinab
In die unterirdischen Hallen,
Wo deine Kinder, die finsteren Erdgewalten,
Wie schlummernde Riesen
Auf ihren Lagern ruhn.

So durch des Menschen Seele
Führen tiefe Schachte,
Düstere, vielgewundne,
Hinab in Finsternis,
Und oft, hinunterstarrend,
In sich selbst zu versinken zagt sie.
Furchtbare Mächte
Schlummern in ihrer Tiefe;
Weh, wenn die entsetzlichen,
Vom Unheil geweckt,
Die schlaftrunknen Häupter schütteln!
Wie die Titanen dort unten,
Des schwarzen Kerkers Pforten sprengend,
Ihr Fest der Zerstörung feiern,
Gewitternd so aus der Seele Abgrund
Steigen die grausen Dämonen
Verzweiflung, Wahnsinn,
Mit Wirbelrauch
Ihr todgeweihtes Opfer umhüllend.

Aber was zuckt durch das Dunkel?
Dämmernd am Himmelsrande
Glimmt es empor,
Ein Flammenglanz umspielt den Gipfel,
Wo gleich Adlern in Lüften ich schwebe;
Wie glühende Tropfen
Sinken die Sterne
In die Wirbel des steigenden Tages;
Unten in schwindelnder Tiefe
Leuchtet und blitzt mit den duftenden Inseln
Der unermeßliche Ocean,
Und allein, allein,
Wie in der Seele ein großer Gedanke,
Schreitet der Lichtgeist
Ueber den Weltrand.

Heil, Glorreich-Herrlicher!
Durch alle Räume
Bis in des Dunkels tiefste Falten,
Der Seele verborgensten Abgrund
Laß deine Feuerströme fluten,
Daß die finsteren Mächte
Vor der Glanzfülle vergehn
Und die Welt dem erlösenden Strahl
In ewigem Hymnus erklinge.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Auf dem Pik von Teneriffa von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auf dem Pik von Teneriffa“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine tiefgründige Reflexion über die menschliche Seele, die im Kontrast zur erhabenen Naturkulisse des Teneriffa-Piks steht. Es ist eine Reise in die Tiefen des Selbst, die von Furcht und Schrecken, aber auch von Hoffnung und Erlösung geprägt ist. Das lyrische Ich, auf dem Gipfel stehend, fühlt sich sowohl überwältigt von der Größe der Natur als auch mit den Abgründen der eigenen Seele konfrontiert.

Das Gedicht beginnt mit einem Aufruf an das Herz, das das lyrische Ich in ein „Wagnis“ gelockt hat. Der Berg wird zum Ort der Einsamkeit und des Eintauchens in das Unendliche. Die „bodenlose“ Tiefe unterhalb des Gipfels, in der Meer und Inseln versinken, symbolisiert die verborgenen, unheimlichen Tiefen der Seele. Die „uralte Nacht“ und die „riesige Sphinx“ verkörpern das Geheimnis und die Rätsel des Daseins, die der Dichter in den Tiefen seines Geistes erforscht. Der „Kraterrande des Feuerberges“ steht hierbei für den Abgrund, in den der Geist hinabgleitet und in dem die „finsteren Erdgewalten“ als schlummernde Riesen ruhen.

Der zweite Teil des Gedichts enthüllt die dunklen, „vielgewundnen“ Schachte, die durch die Seele führen. Das lyrische Ich blickt in diese Tiefen und zögert, in sich selbst zu versinken, da es sich den „furchtbaren Mächten“ bewusst ist, die dort schlummern. Die Angst vor dem Erwachen dieser „entsetzlichen“ Kräfte, wie „Verzweiflung“ und „Wahnsinn“, ist allgegenwärtig. Diese dunklen Kräfte, die Dämonen, steigen wie „Titanen“ aus dem Abgrund der Seele auf und feiern ihr „Fest der Zerstörung“. Dies verdeutlicht die existentielle Angst des Dichters vor den destruktiven Kräften in der menschlichen Natur.

Der letzte Teil des Gedichts wendet sich jedoch dem Licht zu. Ein „Flammenglanz“ erscheint am Horizont, und die Sterne sinken in den anbrechenden Tag. Der „unermeßliche Ocean“ leuchtet in der Tiefe, und der „Lichtgeist“ schreitet über den Weltrand. Die Naturbilder spiegeln nun die Hoffnung und die Erlösung wider. Der Dichter bittet den „Glorreich-Herrlichen“, seine „Feuerströme“ in die Tiefen zu senden, damit die „finsteren Mächte“ vergehen und die Welt in einem „ewigen Hymnus“ erklingt. Die Schilderung der Natur als Spiegel der Seele findet hier ihren Höhepunkt in der Gewissheit, dass das Licht am Ende die Dunkelheit besiegt. Schack beschreibt damit die Sehnsucht nach der Transformation des Inneren durch das göttliche Licht.

Insgesamt ist das Gedicht eine Metapher für die Suche nach Sinn und Erleuchtung in einer Welt, die von Dunkelheit und Chaos geprägt ist. Der Teneriffa-Pik wird zum Schauplatz eines inneren Dramas, das die Höhen und Tiefen der menschlichen Seele widerspiegelt. Das Gedicht schwingt zwischen Angst und Hoffnung, Verzweiflung und Erlösung und mündet in einem Lobgesang, der die Macht des Lichts und die Hoffnung auf Überwindung des Dunklen feiert.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.