Einem Gesunden
Du schiedest, sanft verklang des Posthorns Schall,
Lang wiederholt von Fels und Wasserfall;
Mir aber schien’s des alten Berggeists Sang,
Der liebevoll dir nach zur Ferne klang:
»So lebe wohl denn, du mein liebster Gast,
Der, was ich bieten kann, du selbst schon hast!
Nicht lieb’ ich sieche Bettler, die nur flehn,
Doch Männer, die als Gleiche vor mir stehn.
Erhaben sind, wie meiner Felsen Firn,
Die Lichtgedanken einer Mannesstirn;
Wie Blumenpracht im Alpenthal mir blüht,
So wogt und glüht Gefühl dir im Gemüth;
Und wie mein Busen birgt manch gülden Erz,
So hegt manch Goldkorn tief und still dein Herz;
Wie sich mein Katarakt durch Felsen schlägt,
Wallt frei dein Manneswort, trifft und bewegt;
Und wie mein Heilquell welke Blumen hebt,
Hat deine Huld manch trauernd Herz belebt. –
Der so gesund an Seel’ und Körper ist,
Nichts kann ich bieten dir; bleib’ wie du bist!
Aufrecht und grad’ wie meiner Tannen Schaft,
Behend wie meiner Gemsen Federkraft!
Das Schneehaupt selbst, wie meiner Gletscher Eis,
Ist dir nicht Last, nein, Schmuck und Ehrenpreis!
Ein ganzer Mann, dem meine Alpenwelt
Den Spiegel eigner Größ’ entgegenhält!«
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Einem Gesunden“ von Anastasius Grün zelebriert die Gesundheit und Unversehrtheit eines Mannes und stellt sie in einen erhebenden Bezug zur majestätischen Bergwelt. Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Abschieds des Mannes, dessen Posthorn-Schall in der Natur widerhallt und als ein liebevolles Nachklingen des alten Berggeistes interpretiert wird. Dieser Geist spricht den Mann an und würdigt seine Gesundheit, seine Stärke und seine positive Lebenshaltung. Die einleitenden Verse schaffen eine Atmosphäre der Ehrfurcht und des Respekts, die das gesamte Gedicht durchzieht.
Der Berggeist erklärt, dass er den Mann, der bereits alles besitzt, was die Natur bieten kann, nicht mit Geschenken oder Gaben belohnen kann. Stattdessen preist er die Eigenschaften des Mannes, indem er ihn mit den Elementen der Bergwelt vergleicht. Er vergleicht die „Lichtgedanken“ des Mannes mit dem Firn der Felsen, die Gefühle mit der Blumenpracht des Alpentals und das Herz des Mannes mit dem güldenen Erz, das im Inneren der Berge verborgen ist. Die Metaphern unterstreichen die innere Stärke, die geistige Klarheit und die emotionale Tiefe des Mannes.
Der Berggeist hebt zudem die Kraft des Mannes hervor, indem er sein Wort mit dem Wallen eines Wasserfalls vergleicht und seine Hilfsbereitschaft und Güte mit dem Heilquell, der „welke Blumen hebt“. Die Botschaft ist eindeutig: Der Mann ist in seiner Ganzheit so perfekt, dass die Natur ihm nichts mehr geben kann. Die Gesundheit des Mannes ist sein größter Reichtum und sein Spiegelbild der erhabenen Bergwelt.
Die abschließenden Verse beschreiben den Mann als aufrecht und gradlinig wie die Tannen des Waldes, geschmeidig wie eine Gämse und belastbar wie die Schneehäupter der Berge. Die Natur, die der Mann verkörpert, hält ihm seinen eigenen Wert vor Augen, wird zum Spiegelbild seiner Größe. Das Gedicht feiert somit nicht nur die physische Gesundheit, sondern auch die innere Stärke, die positive Lebenseinstellung und die Fähigkeit des Mannes, die Welt in all ihrer Schönheit und Größe zu erfassen und widerzuspiegeln.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.