Die Haarlocke
Kleinod, das als blondes Wölkchen
Einst an meinem Himmel stand,
Einst ein Ring der goldnen Krone,
Die ums Haupt ihr Schönheit wand!
Deucht mir nur ein welkes Blättlein,
Im verfloßnen Lenz gepflückt,
Das in bangen Winterstunden
Mir den Lenz vors Auge rückt.
Und so wird gar oft im Leben,
Was uns längst die Zeit entrafft,
Neu im kleinen uns gegeben,
Fesselnd mit verjüngter Kraft;
So ein Blatt nur von dem Baume,
Der einst Liebende umwallt!
So ein Bild nur aus dem Traume,
Welcher der Geliebten galt!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Haarlocke“ von Anastasius Grün ist eine melancholische Betrachtung über die Vergänglichkeit und die Kraft der Erinnerung. Es beginnt mit der Beschreibung einer Haarlocke als einem „Kleinod,“ einem wertvollen Schmuckstück, das einst die Schönheit einer geliebten Person repräsentierte. Die Metaphern „blondes Wölkchen“ und „Ring der goldnen Krone“ deuten auf eine vergangene, strahlende Zeit der Liebe und des Glücks hin. Die Verwendung von Adjektiven wie „goldnen“ und die Assoziation mit dem Himmel verstärken den Eindruck von Erhabenheit und Unberührtheit, die mit der Erinnerung an die Geliebte verbunden ist.
Im zweiten Abschnitt vollzieht sich ein Wandel in der Wahrnehmung des Objekts. Aus dem „Kleinod“ wird ein „welkes Blättlein,“ ein verwelktes Blatt, das aus der Vergangenheit gepflückt wurde. Dieser Vergleich verdeutlicht den Verlust des ursprünglichen Glanzes und die Einwirkung der Zeit auf die Erinnerung. Die „bangen Winterstunden“ unterstreichen die Sehnsucht nach der vergangenen Wärme und dem Frühling, der durch das Blatt symbolisiert wird. Die Haarlocke, einst ein Zeichen von Schönheit und Jugend, wird nun zu einem tröstenden, aber auch schmerzlichen Symbol der Vergangenheit.
Der dritte Teil des Gedichts erweitert die Thematik auf das allgemeine menschliche Leben. Grün verallgemeinert die Erfahrung und stellt fest, dass Dinge, die uns die Zeit genommen hat, oft in kleiner Form zurückkehren und uns erneut in ihren Bann ziehen. Diese „verjüngte Kraft“ der Erinnerung ist sowohl fesselnd als auch schmerzhaft, da sie uns mit der Vergangenheit konfrontiert und uns gleichzeitig bewusst macht, was unwiderruflich verloren ist. Das Gedicht spricht die universelle menschliche Erfahrung an, dass Erinnerungen eine tiefe emotionale Kraft haben und uns auch dann noch beeinflussen, wenn die ursprünglichen Objekte oder Erfahrungen längst vergangen sind.
Im abschließenden Quartett konkretisiert der Dichter diese Erkenntnis weiter, indem er die Haarlocke als ein Fragment des Baumes darstellt, der einst Liebende umschloss. Es ist ein „Bild nur aus dem Traume,“ ein Relikt aus dem Traum der Liebe, der der Geliebten galt. Dies unterstreicht die Flüchtigkeit der Liebe und die Rolle der Erinnerung als Bewahrer der Vergangenheit. Die Haarlocke wird zum Inbegriff für die vergängliche Natur des Glücks und die anhaltende Kraft der Sehnsucht nach dem Verlorenen. Das Gedicht endet mit einem melancholischen, aber auch tröstlichen Gefühl, da es die Schönheit und den Schmerz der Erinnerung gleichermaßen würdigt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.