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Des Herrschers Wiege

Von

»– – welcher in fremden Landen
Hin und her lang umziehen will,
Dem begegnet stets Wunders viel.« Theuerdank.

»Wohin, ihr Reiterheere? Wohin, du trüber Kumpan?
Wohin, ihr Schiffer zu Meere? Wohin, du Krückenmann?
Ob schiffend, hinkend, reitend, all’ hin ins Todtenreich!
Daheim bleib’ ich, bereitend die Särge mir und euch.«

Hart an der Burg zu Neustadt steht eines Schreiners Haus,
Dort tönt dieß Lied alltäglich in dumpfem Klang heraus;
Der junge Meister sing es, sobald der Morgen glüht,
Aus frischem Jünglingsmunde, den kaum noch Bart umblüht.

Da trat einst in die Werkstatt in freud’ger Hast ein Mann:
»Ein Wieglein sollt ihr zimmern, auf, Meister, frisch daran!
Heil unserm Kaiser Friedrich, Heil seinem Herrscherthron!
Lenor’, die stolzeKais’rin, gebarheut’ einen Sohn!«

Der Schreiner baut die Wiege aus Brettern, fest und stark,
Vom selben Stück gezimmert stand nebenbei ein Sarg;
Die Spähne stäubten sprühend und Säg’ und Hammer klang;
Dazwischen tönt’ im Takte des Meisters alter Sang.

* * *

Aus blankem Marmorbecken dort in der Burgkapell’
Floß heut’ aufs Haupt des Knäbleins des Weihbronns heil’ger Quell;
Da hob der Bischof Salzburgs die Blicke himmelan:
»In Gottes Namen tauf’ ich dich: Maximilian!« –

O Leonor’ und Friedrich! wohl hat auf euren Bund
Kein heitrer Stern gelächelt bis auf die heut’ge Stund’;
Doch stolz umschlingt sie jetzt ihn und blickt ihn selig an,
Lisboa’s stolze Tochter den feigen Purpurmann.

Rings um die Wiege schimmert das Höflingvolk im Kranz,
Daß sich schon früh das Knäblein gewöhn’ an solchen Glanz;
Lenor’ stürzt hin zum Kinde, ha, wie sie’s herzt und küßt,
Vergessend, daß sie Fürstin, weil sie jetzt Mutter ist!

Noch sieht mein Aug’ zwei Gäste an jener Wiege stehn,
Doch Keiner von den Andern vermocht’ es sie zu sehn,
Es war der Gäste einer ein kräftig blühend Weib,
Der Andr’ ein alter Weiser, gebückt und dürr von Leib.

Der hagre Alte heißet der Tod bei uns zu Land,
Das Weib, so schön und üppig, das Leben ist’s genannt;
Die Beiden ungesehen stehn an der Wieg’ im Kreis,
Und also sprach zum Leben nun Tod der blasse Greis:

»Sprich, wessen von uns Beiden soll dieser Knabe sein?
Ein König wird er werden, schon darum sei er mein!
Ein König wird er werden, all Eins, ob bös ob gut;
Kein König starb auf Erden, der gänzlich rein von Blut.

Des süßen Lebensodems ist er noch kaum gewohnt,
Drum wird’s ihn jetzt nicht schmerzen, wenn ihn mein Arm entthront;
Wohl ihm, muß nun er scheiden! nie dann erfährt sein Herz
Zugleich des Königs Leiden mit eines Menschen Schmerz.

Erlischt jetzt dieses Leben und dieser Augen Licht,
Dann welken tausend Leben, die er einst opfert, nicht,
Dann lächeln tausend Augen, die er einst weinen macht,
Wo Friedhöf’ er einst bauet, glänzt reicher Gärten Pracht.

Wenn jetzt dieß Hirn verdorret, dann brütet’s nie davon,
Wie viel der Gräber brauche zum Fundament ein Thron?
Stockt jetzt sein Blut, nie strömet des Volkes Blut dann hin,
Zu färben seinen Purpur, weil er zu blaß ihm schien.

Krank ist die ganze Menschheit, an Kön’gen leidet sie;
Wird dieser auch der Beste, den je der Himmel lieh,
Gewiß taucht er doch einmal sein Volk in herbsten Schmerz:
Wenn mitten im schönen Werke dereinst ihm bricht das Herz.«

Jetzt schwieg der Tod. Ihn hörte wohl Keiner aus dem Kreis;
Doch als er sprach, da rieselt’ jed’ Herzblut kalt wie Eis,
Da welkte und verwehte am Fenster der Blumenstrauß,
Des Kindes Aeuglein thaute die erste Thrän’ heraus.

»O nein, nicht soll erlöschen jetzt dieser Augen Gluth!
Emporblühn soll die Wange, fortglühn des Herzens Blut,
Aufleg’ ich ihm die Hände, mein sei der Knabe, mein,
Zum Sohn des Lebens weih’ ich mit diesem Kuß ihn ein.

Ein König wird er werden, geschmückt mit heil’ger Kron’,
Der König ist auf Erden des Lebens schönster Sohn!
Die Städte, die jetzt brennen, baut er einst herrlich neu,
Die Augen, die jetzt weinen, macht er von Thränen frei.

Er wird mit Wonne pflücken den immergrünen Kranz,
Der Menschheit Haupt zu schmücken mit ihres Werthes Glanz,
Und Dome läßt er bauen und Friedenstempel stehn,
Wo Schädelstätten grauen und Friedhofgräser wehn.

Des Volkes Glück ist das Kissen, drauf Nachts sein Haupt sanft ruht,
Des Volkes Herzen die Säulen, drauf fußt sein Thron wohl gut,
Stets dünkt ihm zu klein das Kissen, zu wenig der Säulen schier,
Vertrauen ist sein Kanzler und Milde sein Almosenier.

Und wie die Sonne sichtbar, so schwebt unsichtbar auch
Hoch über seinen Landen des Königs Segenshauch,
Und Glück wohnt in den Hütten, Eintracht im Fürstensaal,
Freiheit! rauscht’s von den Bergen und: Friede! singt’s im Thal.

Wie Lerchenschaaren aufwirbeln ins Morgenroth zum Chor,
So flügeln tausend Seelen für ihn zu Gott empor;
Und dort auch sprießt noch Segen, wo sein Gebein mag ruhn!
Dieß Alles kann ein König, und dieser wird es thun.«

So sprach das Leben, siegreich, verkläret wunderbar,
Vernommen hat es Keiner zwar aus der bunten Schaar;
Doch draußen schlugen Lerchen, Lenzluft zog durchs Gefild,
Des Kindes Mund umschwebte das erste Lächeln mild.

Und wie das Kind, so lächeln die Schranzen allzumal,
Der Kaiser aber wallte nun sinnend aus dem Saal,
Mit Weisen und mit Sehern stieg er zur Sternwart’ auf,
Des Sohnes künftig Schicksal zu lesen im Sternenlauf.

Doch inniger und wärmer umklammert’ und umschloß
Lenor’ den theuren Säugling und wiegt’ ihn sanft im Schooß
Und sah ihm sel’gen Blickes ins holde Augenpaar:
»Ihr Sterne meines Glückes, o glänzt mir immerdar!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Des Herrschers Wiege von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Des Herrschers Wiege“ von Anastasius Grün ist eine komplexe, allegorische Auseinandersetzung mit dem Thema Macht, Leben und Tod, eingebettet in die Geburt eines Königs. Das Gedicht beginnt mit einer Szene, die die Vergänglichkeit und das Schicksal des Menschen thematisiert, bevor es sich der Geburt des Thronfolgers zuwendet. Es spielt mit Kontrasten, indem es die Freuden der Geburt und die Pracht des königlichen Hofes mit den düsteren Vorahnungen des Todes und der Zerstörung gegenüberstellt.

Der zentrale Teil des Gedichts ist ein Dialog zwischen dem Tod und dem Leben an der Wiege des neugeborenen Königs. Der Tod, hier als „blasser Greis“ personifiziert, fordert den Anspruch auf den Knaben, da er ihn als König in seinen Bann ziehen wird, wie es mit allen Königen der Fall ist, die Unrecht und Leid über ihr Volk bringen. Er argumentiert, dass das Leben des Königs untrennbar mit dem Leid seines Volkes verbunden ist und dass der Tod ihm somit Ruhe und Frieden gewähren würde. Dieser Abschnitt betont die Ambivalenz der Macht und die dunklen Seiten des Königsdaseins.

Demgegenüber steht das Leben, verkörpert durch eine „schöne und üppige“ Frau. Sie widerspricht dem Tod und sieht die Möglichkeit eines gütigen und gerechten Königs, der Frieden und Wohlstand für sein Volk bringt. Das Leben zeichnet ein Idealbild eines Herrschers, der sich um das Wohl seiner Untertanen kümmert, Frieden stiftet und die Welt verschönert. Es verspricht eine glückliche Zukunft für den Knabe und sein Volk. Das Gedicht kulminiert in dem Wunsch des Lebens, den Knaben zu segnen und ihm ein langes und erfülltes Leben zu schenken.

Die Sprache des Gedichts ist pathetisch und bildreich, mit vielen Metaphern und Vergleichen, die die Gegensätze von Leben und Tod, Macht und Leid unterstreichen. Die Verwendung von reimenden Versen und rhythmischen Mustern verleiht dem Gedicht eine musikalische Qualität, die seine emotionale Wirkung verstärkt. Die allegorische Darstellung der Charaktere und die symbolische Bedeutung der Ereignisse machen das Gedicht zu einer tiefgründigen Reflexion über die Natur des Königswesens und die menschliche Existenz.

Das Gedicht endet versöhnlich, mit einem Lächeln auf den Lippen des Kindes und dem Glück der Anwesenden, was die Hoffnung auf eine bessere Zukunft betont. Gleichzeitig verbleibt die Ambivalenz der Macht, da der Kaiser und die Sternendeuter die Zukunft des Sohnes weiterhin im Lauf der Sterne suchen. Somit ist das Gedicht ein vielschichtiges Werk, das die Hoffnung auf eine gerechte Herrschaft mit der Erkenntnis der Vergänglichkeit und der Unvermeidlichkeit von Leid verbindet. Es hinterlässt den Leser mit Fragen über die Natur der Macht, die Rolle des Herrschers und die Bedeutung von Leben und Tod.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.