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Der Grenzsoldat

Von

Am Pestkordon der Grenzsoldat
Mit der Muskete steht,
Jenseits des Stroms auf blum’gem Pfad
Das Türkenmädchen geht.

Dazwischen hin die Donau zieht,
Dem Strom des Todes gleich,
Der Sel’ge und Lebend’ge schied
Und Erd- und Geisterreich.

Was drüben blüht, was drüben strebt,
Ist für die Andern hie,
Als wär’s verwelkt längst und verlebt
Oder geboren nie.

Die Blumen, die dort drüben stehn,
Sie sind so fern für ihn,
Als hab’ er sie im Traum gesehn
Im Himmelsgarten blühn.

Die goldnen Früchte, die gedrängt
Der Fruchthain drüben beut,
Für ihn sind sie wie aufgehängt
Im Hain der Ewigkeit.

Die Türkenmaid, die dort entlang
Des schönen Stroms lustwallt,
Für ihn wallt sie der Todten Gang
In eines Geists Gestalt.

Das Leuchten ihrer Augen quillt
Durch weiße Schleier vor,
Ihm sind’s nur Sterne, schimmernd mild
Aus weißem Wolkenflor.

Da faßt der Sehnsucht tiefe Macht
Des jungen Kriegers Herz,
Wie’s zieht in stiller Vollmondnacht
Den Wandrer sternenwärts.

Fast meint er einen Blick zu thun
In fernes Geisterland,
Wenn nicht ganz andre Bilder nun
Gar irdisch ihn gemahnt!

Auf raschem Pferd der Spahi Zahl,
Die dort vorüberbraust,
Daß Staubgewölk und Säbelstrahl
Und Hufblitz sie umsaust!

Der Aga, der im Moosdivan
Am Strand die Pfeife raucht,
Die als Musketenrohr hinan
Des Friedens Salven schmaucht!

Da stampft die Flinte der Soldat
Zum Grunde unmuthvoll,
Daß aus dem Boden am Gestad’
Ein banges Dröhnen scholl!

»O daß ich steh’ bei rüst’gem Leib
Hier todt als Grenzepfahl!
Wie ein alt Krankenwärterweib
Vor einem Pestspital!

Die Brücken schlagt’, ihr Pontonier,
Für Wagen und für Roß!
Mit Schiffen her, Tschaikisten ihr,
Für Mannschaft und für Troß!

Die Schlachten unsrer Väter sind
Noch auszukämpfen dort;
Ein gutes Christenschwert gewinnt
Noch Arbeit fort und fort!

Herr Hauptmann, dort von der Moschee
Höhnt uns der halbe Mond;
Auf, pflanzt das heil’ge Kreuz zur Höh’,
Das drüben würd’ger thront!

Herr Pfaff, manch schönes Haupt umflort
In Irrwahns Schleiern seht,
Das sich zum Born der Taufe dort
Zu beugen brünstig fleht!«

An Wundern schwanger geht die Zeit!
Wer hätt’ es wohl gedacht,
Daß solch ungläub’ge Türkenmaid
So guten Christen macht?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Grenzsoldat von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Grenzsoldat“ von Anastasius Grün zeichnet ein komplexes Bild der Sehnsucht und des Zwiespalts, das sich an der Grenze zwischen zwei Welten entfaltet. Es thematisiert die unmögliche Liebe, die durch geografische und ideologische Barrieren getrennt wird, und die Konflikte, die sich aus der Wahrnehmung des „Anderen“ ergeben.

Die zentrale Figur ist der Grenzsoldat, der die Grenze zwischen der christlichen und der türkischen Welt bewacht. Er betrachtet das türkische Mädchen auf der anderen Seite des Flusses mit Sehnsucht, doch die Trennung durch den Strom, der als „Strom des Todes“ bezeichnet wird, symbolisiert die Unüberwindbarkeit der Grenze. Die Objekte und Personen auf der anderen Seite, wie Blumen, Früchte und das Mädchen selbst, erscheinen dem Soldaten unerreichbar und entrückt, als wären sie Teil einer anderen, ihm verschlossenen Welt. Diese Entfremdung wird durch die bildhafte Sprache des Gedichts verstärkt, indem die Gegenstände in den Bereich des Traums oder der Ewigkeit verlagert werden.

Die zweite Hälfte des Gedichts kippt von der kontemplativen Sehnsucht in einen Aufruf zum Krieg. Die Ankunft des „Spahi Zahl“ und des „Aga“ erinnert den Soldaten an seine Pflichten und die Feindschaft zwischen den Kulturen. Seine anfängliche Sehnsucht weicht dem Eifer des Kampfes, als er seine Flinte stampft und den Aufbruch zum Krieg befürwortet. Er wünscht sich, als Grenzpfahl zu sterben, und ruft nach militärischer Verstärkung, um die Schlacht fortzusetzen. Die religiöse Rhetorik, insbesondere der Appell an das „heil’ge Kreuz“, verstärkt den ideologischen Konflikt zwischen Christentum und Islam.

Der überraschende Schluss mit der rhetorischen Frage nach der „ungläub’ge Türkenmaid“ und ihrem Einfluss auf die Christianisierung deutet auf eine tiefere Ironie des Gedichts hin. Die Sehnsucht und die ideologische Feindschaft werden durch eine unerwartete Wendung in Frage gestellt. Das Gedicht suggeriert, dass die Grenzen zwischen den Kulturen nicht so starr sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, und dass die Liebe und die Sehnsucht nach dem Anderen eine transformative Kraft haben können. Es hinterfragt die vermeintlich unüberwindbaren Unterschiede und deutet auf eine mögliche Überwindung der Trennung hin.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.