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Der Besuch

Von

Oft des Tags und oft des Abends
Wall’ ich an das Ziel der Sehnsucht,
Aus der Stadt durchtobten Straßen
In der Vorstadt still’re Welt.

Ueber unsres Stromes Brücke
Zieh’ ich hin mit raschem Schritte,
Wie ein Geist so still und schweigsam
Durch den lärmend lauten Schwarm.

Und dann rechts? – ach nein, zur Linken!
Seht, kaum weiß ich mehr es selber;
Dann grad fort? – ach nein, zur Rechten,
Um die Ecke rasch gewandt!

Seltsam! – ging ich nie doch irre
Auf der schönen heil’gen Wallfahrt;
Dennoch, Freunde, kann ich nimmer
Künden euch den Weg dahin.

Kann kein Häuschen an der Straße
Zeichnen euch mit sichern Händen.
Also kennt man wohl die Sterne,
Aber nicht den Weg dahin!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Besuch von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Besuch“ von Anastasius Grün beschreibt die innere Zerrissenheit und die fast schon surreale Erfahrung einer Person auf dem Weg zu einem Sehnsuchtsort. Die einleitenden Verse zeichnen ein Bild von wiederholten Besuchen zu verschiedenen Tageszeiten, was die Intensität und Beständigkeit des Verlangens unterstreicht. Die Verwendung des Wortes „Wall‘ ich“ (aus „wallen“ = wandern) deutet bereits auf eine tiefe, emotionale Reise hin, die der Protagonist unternimmt. Die Bewegung aus der hektischen Stadt in die ruhigere Vorstadtlandschaft symbolisiert den Wunsch nach einem Rückzugsort oder einem Ort der Ruhe und Erfüllung.

Die zweite Strophe vertieft diese Stimmung, indem sie die Überquerung der Brücke über den Fluss beschreibt, was oft als symbolische Grenze zwischen verschiedenen Zuständen interpretiert werden kann. Der Protagonist wird als „Geist“ charakterisiert, was seine Abgeschiedenheit und innere Weltlichkeit betont. Er bewegt sich „still und schweigsam“ durch die laute Umgebung, was seine Distanz zum äußeren Lärm und seine Konzentration auf sein inneres Ziel verdeutlicht. Dieser Kontrast zwischen dem äußeren Lärm und der inneren Stille verstärkt die Botschaft der Sehnsucht und der Suche nach etwas, das außerhalb der greifbaren Welt liegt.

Die dritte Strophe, in der der Protagonist die Richtung auf seinem Weg nicht bestimmen kann, führt eine bemerkenswerte Wendung ein. Er scheint sich auf dem Weg zu verirren, weiß nicht mehr, ob er nach rechts oder links gehen soll, und kann den Weg nicht mehr erkennen. Dies unterstreicht die eigentümliche Natur des Ziels. Obwohl die Person immer wieder hingeht, scheint der Weg selbst ungreifbar und im Bewusstsein verloren zu sein. Diese Unsicherheit kann als Metapher für die Schwierigkeit interpretiert werden, einen Zustand von tiefer Sehnsucht oder einen emotionalen Ort zu erreichen, der schwer zu greifen ist.

Die abschließende Strophe setzt diese Ambivalenz fort. Der Protagonist, der stets denselben Weg gegangen ist, kann den Weg anderen nicht erklären. Er vergleicht dies mit der Erkenntnis der Sterne, ohne den Weg zu ihnen zu kennen. Die Verwendung von „Freunde“ in den abschließenden Versen suggeriert, dass es sich um eine persönliche, intime Reise handelt, die nur der Protagonist selbst vollständig versteht. Das Gedicht deutet auf eine tiefere, möglicherweise spirituelle Suche hin, bei der der Weg wichtiger ist als das Erreichen des Ziels. Es hinterfragt die Natur von Sehnsucht, Erinnerung und die Unfähigkeit, die Erfahrung vollständig zu kommunizieren.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.