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Das verschlossene Thor

Von

Hinwälzt sich wild durch Ktesiphon
Das Römerheer mit Brand und Morde.
Verwüstet hat die Räuberhorde
Des Ormuzd großen Tempel schon;
Durch Reihn gesunkener Pilaster
Nun dringt sie in die Halle vor,
Wo um das Feu′r des Zoroaster
Anbetend kniet ein Magierchor
Und Greife von Granit und Drachen
Ein ries′ges Thor von Erz bewachen.

In krausen Zügen wunderbar
Flammt Spruch auf Spruch an jenem Thore,
Und dumpf schallt zu der Römer Ohre
Das Lied der Magier vom Altar:
»Ihr Priester, schürt das heil′ge Feuer,
Uebt an der Pforte treu die Wacht!
Gebunden sind die Ungeheuer,
Die Schreckgeburt der alten Nacht,
So lang der düstre Schlund versiegelt;
Weh, würde je das Thor entriegelt!«

Durch der betroffnen Krieger Herz
Ziehn Schauer hin bei dem Gesange;
Der eine weicht zur Seite bange;
Scheu blickt der andre bodenwärts.
Der Feldherr aber: »Seid ihr Memmen,
Daß ihr vor Märchen zagen wollt?
Geschwind, die Eisen einzustemmen!
Die Riegel sprengt! Sie bergen Gold!
Das ist der Sinn der Zauberworte!«
Er ruft′s und bricht sich Bahn zur Pforte.

Die Magier nahen pflichtgetreu,
Den Weg dem Räuber zu vertreten!
Bei Zoroaster, dem Propheten,
Verwegner, weich′ von hinnen scheu!«
Doch jener hebt das Beil; als Tote
Hinsinken sie von seinem Stahl;
Das heil′ge Feuer schlägt, das rote,
Noch einmal auf mit hellem Strahl;
Der Altar sinkt in dumpfem Falle,
Und finster wird es in der Halle.

Die Klammern bricht der Feldherr los;
Es kracht das Thor; die Riegel springen;
Giftqualm und Schwefeldünste dringen
Gewitternd aus des Abgrunds Schoß;
Und alle taumeln häuptlings nieder –
Doch siehe, wo die Tiefe klafft,
Da regt sich′s, halb wie Menschenglieder,
Halb wie Dämonen; grauenhaft,
Vom Sturm emporgewirbelt, steigen
Drei Weiber auf in wildem Reigen.

Die eine schwingt in rechter Hand
Die Geißel, die zu Raub und Morden
Aufpeitscht die wilden Völkerhorden,
In linker einen Feuerbrand;
Weithin durch die beeisten Oeden
Fliegt sie zur ew′gen Nacht am Pol,
Wo Gog und Magog sich befehden,
Und treibt südwärts ans Kapitol,
Mit Strömen Blutes alle Dämme
Durchbrechend, die Barbarenstämme.

Ihr folgen, blaß und abgezehrt,
Die Hungersnot als treuer Scherge,
Die Pest, die über Leichenberge
Frohlockend im Triumphzug fährt.
Schon ziehen auf die Fahrt der Schrecken
Die grausen drei, mit Todeskrampf
Die Erdenländer zu bedecken.
Weh, Rom! Das ist dein letzter Kampf!
Es geht die Welt aus ihrer Fuge,
Wo diese nahn im Würgerzuge.

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Gedicht: Das verschlossene Thor von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das verschlossene Thor“ von Adolf Friedrich Graf von Schack erzählt in bildhafter Weise von Zerstörung, dem Fall einer Zivilisation und den entfesselten Kräften des Chaos. Es entwirft ein dramatisches Szenario, in dem ein römisches Heer die Stadt Ktesiphon erobert und durch die Zerstörung eines Tempels mit einem verschlossenen Tor hindurchbricht, welches dämonische Kräfte birgt. Das Gedicht ist reich an Symbolik und Allegorien und zeichnet ein düsteres Bild des Niedergangs.

Im Zentrum des Gedichts steht das verschlossene Tor, welches von den Magiern bewacht wird. Die Magier sind Hüter eines heiligen Feuers und warnen vor der Öffnung des Tores, da es die Entfesselung von Ungeheuern der alten Nacht bedeutet. Der Feldherr der Römer, getrieben von Gier und dem Glauben an Reichtümer hinter dem Tor, ignoriert die Warnungen und befiehlt die Zerstörung des Tores. Diese Handlung symbolisiert den Bruch mit dem Glauben und der Tradition, sowie die Hybris des Eroberers.

Mit dem Brechen des Tores werden die dunklen Mächte entfesselt, dargestellt durch drei dämonische Frauen. Diese Frauen verkörpern die zerstörerischen Kräfte, die nun über die Welt hereinbrechen: Krieg, Hunger und Pest. Die Frauen ziehen in einem „Würgerzuge“ los, um die Welt zu vernichten, und leiten damit das Ende des römischen Reiches ein. Das Gedicht endet mit einer eindringlichen Warnung vor dem Untergang Roms, der durch die Freisetzung dieser zerstörerischen Kräfte besiegelt wird.

Die Sprache des Gedichts ist pathetisch und bildgewaltig. Es verwendet viele Metaphern und Symbole, um die Dramatik der Ereignisse zu unterstreichen. Die Bilder von Feuer, Zerstörung, Tod und dem Aufstieg dämonischer Gestalten erzeugen eine düstere Atmosphäre. Schacks Werk ist ein Beispiel für die romantische Tradition, die sich von antiken und biblischen Motiven inspirieren ließ und die Macht des Chaos und des Untergangs thematisierte. Die Verwendung von Reim und rhythmischer Sprache verstärkt die Wirkung des Gedichts und zieht den Leser in die erschreckende Szenerie hinein.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.