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Für meine Söhne

Von

Hehle nimmer mit der Wahrheit!
Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.

Blüte edelsten Gemütes
Ist die Rücksicht; doch zuzeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.

Wackrer heimatlicher Grobheit
Setze deine Stirn entgegen;
Artigen Leutseligkeiten
Gehe schweigend aus den Wegen.

Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu wert, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.

Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte deine Seele
Vor dem Karrieremachen.

Wenn der Pöbel aller Sorte
Tanzet um die goldnen Kälber,
Halte fest: du hast vom Leben
Doch am Ende nur dich selber.

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Gedicht: Für meine Söhne von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Für meine Söhne“ von Theodor Storm ist eine Art poetisches Vermächtnis, das sich durch seine direkte Sprache, klare Werteorientierung und moralische Ernsthaftigkeit auszeichnet. Es handelt sich um einen Katalog ethischer Leitsätze, der nicht nur an die Söhne des Dichters gerichtet ist, sondern universellen Charakter trägt. In jeder Strophe gibt Storm in verdichteter Form Lebensweisheiten weiter, die Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Anstand, Selbstachtung und geistige Unabhängigkeit betonen.

Bereits die erste Strophe stellt die Wahrheit in den Mittelpunkt – als kostbares Gut, das nicht versteckt, aber auch nicht leichtfertig verschwendet werden soll. Hier zeigt sich Storms Gespür für Maß und Haltung: Die Wahrheit ist wertvoll, aber ihre Anwendung verlangt Einsicht und Fingerspitzengefühl. In der zweiten Strophe folgt ein ähnliches Spannungsfeld: Rücksicht als Ausdruck innerer Größe wird gewürdigt, doch auch die befreiende Kraft der „goldnen Rücksichtslosigkeiten“ wird anerkannt – ein Appell an Authentizität und Mut zur Klarheit.

Mit scharfem Blick kritisiert Storm gesellschaftliche Konventionen: „Wackrer heimatlicher Grobheit“ soll man standhalten, aber gegenüber oberflächlicher Freundlichkeit – „artigen Leutseligkeiten“ – ist Distanz geboten. Die vierte Strophe greift ein zentrales Motiv bürgerlicher Moral auf: Die Achtung vor Frauen und die Ablehnung von Heuchelei. Die Gastfreundschaft soll nicht zur stillschweigenden Billigung unmoralischen Verhaltens werden.

In der fünften Strophe wendet sich Storm gegen bloßen Ehrgeiz: Fleiß und Anstrengung sind lobenswert, aber der Preis der „Karriere“ darf nicht die eigene Seele sein. Dies mündet schließlich in die letzte, besonders eindringliche Strophe: In einer Welt, in der viele dem „goldnen Kalb“ nachtanzen, mahnt der Dichter zur inneren Standfestigkeit und Selbsttreue. „Du hast vom Leben / Doch am Ende nur dich selber“ – dieser abschließende Satz bringt Storms Ethos auf den Punkt: Integrität und persönliche Verantwortung sind letztlich das Einzige, worauf der Mensch sich verlassen kann.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.