Der greise Kopf
Der Reif hatt‘ einen weißen Schein
Mir über’s Haar gestreuet.
Da meint‘ ich schon ein Greis zu sein,
Und hab‘ mich sehr gefreuet.
Doch bald ist er hinweggethaut,
Hab‘ wieder schwarze Haare,
Daß mir’s vor meiner Jugend graut –
Wie weit noch bis zur Bahre!
Vom Abendroth zum Morgenlicht
Ward mancher Kopf zum Greise.
Wer glaubt’s? Und meiner ward es nicht
Auf dieser ganzen Reise!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der greise Kopf“ von Wilhelm Müller beschreibt auf humorvolle und zugleich nachdenkliche Weise die Auseinandersetzung des Sprechers mit dem Alter und der Vergänglichkeit. Zu Beginn des Gedichts erfährt der Sprecher von einem ersten grauen Haar, das ihm das Gefühl vermittelt, bereits alt zu sein. Er freut sich sogar, da er das Altern als etwas Positives und Erhebendes wahrnimmt. Der „weiße Schein“ symbolisiert die Weisheit und den Respekt, der mit dem Alter verbunden sein könnte, und er ist zunächst stolz auf dieses Anzeichen des Älterwerdens.
Doch die Freude währt nur kurz, denn der „Reif“ verschwindet und hinterlässt wieder schwarze Haare, was den Sprecher in eine unerwartete Krise stürzt. Er erkennt nun, dass er noch jung ist, und in dieser Erkenntnis wird ihm die Zeit und die Unausweichlichkeit des Alterns bewusst. Die schwarze Haarpracht, die zu seiner Jugend gehört, wird plötzlich zur Quelle der Frustration, da sie ihn an das unerbittliche Voranschreiten der Zeit erinnert. Der Satz „Daß mir’s vor meiner Jugend graut“ deutet auf eine tiefe Angst vor dem Verbleiben in der Jugend und dem Fehlen des natürlichen Übergangs zum Alter hin.
Im dritten Teil des Gedichts stellt der Sprecher fest, dass viele Menschen auf ihrem Lebensweg von der Jugend zum Alter übergehen und sich die Haare mit der Zeit verfärben. Doch sein eigener Kopf bleibt davon verschont, was eine gewisse Ironie und Resignation über die Zeitlosigkeit seines eigenen Körpers wiedergibt. Die letzten Zeilen reflektieren die Entfremdung von der eigenen Lebensreise, da der Sprecher sich fragt, warum er von dieser natürlichen Entwicklung des Alterns ausgeschlossen bleibt.
Das Gedicht verhandelt die Themen des Alterns, der Zeit und der persönlichen Identität. Müller verwendet in humorvoller Weise die Metapher des „grauen Haares“, um auf die emotionalen und existenziellen Fragen des Sprechers einzugehen, der mit seinem eigenen Alterungsprozess ringt. Indem er sich gegen den natürlichen Lauf der Dinge sträubt, entsteht eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorstellung von Jugend und dem Prozess des Alterns.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.