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Zweites Lied von der alten Waschfrau

Von

Es hat euch anzuhören wohl behagt,
Was ich von meiner Waschfrau euch gesagt;
Ihr habt′s für eine Fabel wohl gehalten?
Fürwahr, mir selbst erscheint sie fabelhaft;
Der Tod hat längst sie alle hingerafft,
Die jung zugleich gewesen mit den Alten.

Dies werdende Geschlecht, es kennt sie nicht
Und geht an ihr vorüber ohne Pflicht
Und ohne Lust, sich ihrer zu erbarmen.
Sie steht allein. Der Arbeit zu gewohnt,
Hat sie, solang′ es ging, sich nicht geschont;
Jetzt aber, wehe der vergess′nen Armen!

Jetzt drückt darnieder sie der Jahre Last;
Noch emsig thätig, doch entkräftet fast
Gesteht sie ein: „So kann′s nicht lange währen.
Mag′s werden, wie′s der liebe Gott bestimmt;
Wenn er nicht gnädig bald mich zu sich nimmt, –
Nicht schafft′s die Hand mehr – muss er mich ernähren.“

Solang′ sie rüstig noch beim Waschtrog stand,
War für den Dürst′gen offen ihre Hand;
Da mochte sie nicht rechnen und nicht sparen.
Sie dachte bloß: „Ich weiß, wie Hunger thut.“ –
Vor eure Füsse leg′ ich meinen Hut,
Sie selber ist im Betteln unerfahren.

Ihr Fraun und Herrn, Gott lohn′ es euch zumal,
Er geb′ euch dieses Weibes Jahre Zahl
Und spät dereinst ein gleiches Sterbekissen!
Denn wohl vor allem, was man Güter heißt,
Sind′s diese beiden, die man billig preist:
Ein hohes Alter und ein rein Gewissen.

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Gedicht: Zweites Lied von der alten Waschfrau von Adelbert Chamisso

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zweites Lied von der alten Waschfrau“ von Adelbert von Chamisso ist eine berührende Reflexion über das Alter, die Vergänglichkeit und die soziale Ungerechtigkeit. Es zeichnet das Bild einer alten Waschfrau, die von der Gesellschaft vergessen wurde und am Ende ihres Lebens auf Almosen angewiesen ist. Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, die jeweils einen Aspekt des Lebens und der Situation der Waschfrau beleuchten.

Die erste Strophe stellt die Waschfrau als eine Figur dar, die der heutigen Generation unbekannt ist. Die Vergangenheit, in der sie eine wichtige Rolle spielte, ist vergessen, und die jüngeren Menschen gehen an ihr vorbei, ohne sich ihrer anzunehmen. Dies unterstreicht die Isolation und das Gefühl der Entfremdung, das die alte Frau erlebt. Die zweite Strophe beschreibt ihr körperliches und seelisches Leid, die Last der Jahre und die Erschöpfung, die ihre einst emsige Tätigkeit nun einschränken. Sie erkennt, dass ihr Tod kurz bevorsteht, und hofft auf Gottes Gnade.

Die dritte Strophe offenbart die Großzügigkeit der Waschfrau in ihrer aktiven Zeit. Sie war großzügig und selbstlos, teilte ihr Hab und Gut mit den Durstigen und Hungernden, ohne an sich selbst zu denken. Diese Beschreibung kontrastiert stark mit ihrer aktuellen Situation, in der sie selbst auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Sie ist nun in eine Lage geraten, in der sie um Almosen betteln muss, eine Erfahrung, die ihr aufgrund ihrer vorherigen Lebensweise völlig fremd ist.

Die letzte Strophe ist ein Appell an die Leser. Der Sprecher bittet um Mitleid und Unterstützung für die alte Frau, indem er seinen Hut vor ihre Füße legt, eine Geste der Demut und des Respekts. Er fleht um finanzielle Unterstützung und bittet Gott, den Wohltätern ein langes Leben und ein reines Gewissen zu schenken, was impliziert, dass diese beiden Eigenschaften wertvoller sind als materieller Besitz. Das Gedicht endet mit einer moralischen Botschaft, die die Werte von Mitgefühl, Altruismus und das Verständnis für die menschliche Vergänglichkeit betont. Es ist ein Plädoyer für eine Gesellschaft, die ihre Alten nicht vergisst, sondern ihnen in ihren Notlagen zur Seite steht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.