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Thorwaldsens Ganymed und der Adler

Von

Knabe, süßer, wunderbarer,
Unterm Kuß des Zeus gereift,
Blüte, die in leuchtend-klarer
Schönheit nie der Wind gestreift:

Sorgsam tränkst du und ästhetisch,
Wenn auch halb gelangeweilt,
Hier den Aar, der gravitätisch
Schmaust und wenig sich beeilt.

Mancher würde ungeduldig,
Und er hätte Grund genug,
Doch du denkst: Ich bin′s ihm schuldig,
Weil er zum Olymp mich trug;

Weil er schnell, mich fester fassend,
In die Wolken mich entrückt,
Als ich, schwindelnd und erblassend,
Unter mich hinabgeblickt;

Ja, weil er sogar die Klauen
Unterm Fittich-Paar verhüllt,
Die mich fast mit größerm Grauen,
Als der Abgrund selbst, erfüllt.

Solltest doch ins Ohr ihm raunen:
Spute dich zu deinem Heil;
Denn schon wölkte Zeus die Braunen,
Und – da fällt der Donnerkeil!

Auf, mein Vogel, dienstbeflissen!
Wie du auch das Auge rollst!
Du, o Knabe, wirst schon wissen,
Wo du dich erholen sollst!

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Gedicht: Thorwaldsens Ganymed und der Adler von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Thorwaldsens Ganymed und der Adler“ von Friedrich Hebbel ist eine poetische Auseinandersetzung mit der berühmten mythologischen Szene der Entführung Ganymeds durch den Adler, der im Auftrag des Zeus handelt. Es konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Ganymed und dem Adler, insbesondere auf die Dankbarkeit und die Pflicht, die Ganymed dem Adler gegenüber empfindet, trotz der potentiellen Gefahr.

Die ersten beiden Strophen beschreiben Ganymed als einen jungen, schönen Knaben, der von Zeus‘ Kuss geformt wurde. Er wird als sorgsam und ästhetisch dargestellt, der sich um den Adler kümmert, obwohl er sich vielleicht ein wenig langweilt. Diese Beschreibung deutet auf eine ambivalente Beziehung hin: Ganymed ist dankbar für die Rettung und den Transport in den Olymp, hegt aber möglicherweise auch Misstrauen gegenüber der Macht des Adlers und der drohenden Gefahr. Der Adler selbst wird als majestätisch und bedächtig dargestellt, was die Spannung noch erhöht.

In den folgenden Strophen reflektiert Ganymed seine Verpflichtung gegenüber dem Adler. Er erinnert sich daran, wie der Adler ihn in die Höhe trug, ihn vor dem Abgrund rettete und sogar seine Klauen versteckte, um ihm keine Angst zu machen. Diese Erinnerungen verdeutlichen die Dankbarkeit, die Ganymed empfindet, und seine Bereitschaft, dem Adler zu dienen. Gleichzeitig wird die Anspannung durch die Erwähnung des „Abgrunds“ und der „Klauen“ verstärkt, was die potenziell gefährliche Natur der Situation unterstreicht.

Die abschließenden Strophen bringen eine dramatische Wendung. Ganymed ahnt die bevorstehende Gefahr, da Zeus seinen Zorn ankündigt. Er ermahnt den Adler, sich zu beeilen, um sich in Sicherheit zu bringen, und zeigt damit seine Sorge um das Wohlergehen des Adlers, auch wenn er selbst dem drohenden Unheil ausgesetzt ist. Die letzte Strophe, in der der Adler zum Aufbruch aufgefordert wird und Ganymed aufgefordert wird, sich zu „erholen“, deutet auf das bevorstehende Schicksal beider hin. Das Gedicht endet mit einer beunruhigenden Andeutung, die die Tragik der Situation hervorhebt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.