Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so im Wandern mit,
Auf dass es einst mir möge sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

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Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so im Wandern mit,
Auf dass es einst mir möge sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.
Das Gedicht „Ein grünes Blatt“ von Theodor Storm ist eine kurze, aber eindringliche Reflexion über Erinnerung und Vergänglichkeit. In nur fünf Versen gelingt es dem Dichter, das Motiv des Naturerlebnisses mit dem Wunsch nach Bewahrung und innerer Rückkehr zu einem früheren Moment zu verbinden. Das grüne Blatt, das das lyrische Ich während eines sommerlichen Spaziergangs mitnimmt, dient als Symbol der Erinnerung – ein kleines Zeichen, das die Fülle eines vergangenen Augenblicks in sich tragen soll.
Das lyrische Ich greift auf eine sehr persönliche Handlung zurück: das Aufheben eines Blattes während des Wanderns. Diese scheinbar beiläufige Geste wird mit Bedeutung aufgeladen, denn das Blatt wird zum Träger der Erinnerung – an die „sommerlichen Tage“, an die grüne Fülle des Waldes, an den Gesang der Nachtigall. Diese sinnlichen Eindrücke – Farbe, Klang, Bewegung – stehen stellvertretend für ein ganzes Lebensgefühl, das durch das kleine Objekt bewahrt werden soll.
Storms Sprache ist schlicht, fast prosaisch, doch gerade in dieser Einfachheit liegt eine stille Melancholie. Der Wunsch, dass das Blatt „einst“ sprechen möge, zeigt, dass der Moment des Genusses bereits vergangen ist und dass es einer Brücke bedarf, um ihn wiederzuerlangen. Die Natur wird dabei nicht idealisiert, sondern als Teil des subjektiven Erlebens gezeigt – sie ist Medium der Erinnerung und Spiegel innerer Regungen.
In seiner Kürze öffnet das Gedicht einen weiten Assoziationsraum: Es geht um das menschliche Bedürfnis, Augenblicke festzuhalten, um dem Vergessen entgegenzuwirken. Das grüne Blatt ist Zeichen des Wunsches, das Vergehen der Zeit aufzuhalten, und Ausdruck einer leisen Sehnsucht nach Dauer inmitten des Flüchtigen. Damit berührt Storm ein zentrales romantisches Motiv, das er jedoch mit zurückhaltender Sprache und ohne Pathos gestaltet.
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