Stirb, Lieb‘ und Freud‘
Zu Augsburg steht ein hohes Haus,
Nah bei dem alten Dom,
Da tritt am hellen Morgen aus
Ein Mägdelein gar fromm;
Gesang erschallt,
Zum Dome wallt
Die liebe Gestalt.
Dort vor Marias heilig′ Bild
Sie betend niederkniet,
Der Himmel hat ihr Herz erfüllt,
Und alle Weltlust flieht:
„O Jungfrau rein!
Laß mich allein
Dein eigen sein!“
Alsbald der Glocke dumpfer Klang
Die Betenden erweckt,
Das Mägdlein wallt die Hall′ entlang,
Es weiß nicht, was es trägt;
Am Haupte ganz
Von Himmelsglanz
Einen Lilienkranz.
Mit Staunen schauen all′ die Leut′
Dies Kränzlein licht im Haar,
Das Mägdlein aber wallt nicht weit,
Tritt vor den Hochaltar:
„Zur Nonne weiht
Mich arme Maid!
Stirb, Lieb′ und Freud′!“
Gott, gib, daß dieses Mägdelein
Ihr Kränzlein friedlich trag′,
Es ist die Herzallerliebste mein,
Bleibt′s bis zum jüngsten Tag.
Sie weiß es nicht,
Mein Herz zerbricht,
Stirb, Lieb′ und Licht!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Stirb, Lieb‘ und Freud’“ von Justinus Kerner erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das sich dem klösterlichen Leben verschreibt, und die Reaktion eines unglücklich verliebten Mannes. Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, die jeweils die verschiedenen Phasen des Geschehens beleuchten: das Erscheinen des Mädchens, ihr Gebet, ihre Verwandlung und schließlich ihr Gelübde. Es ist eine Erzählung von Hingabe und dem unglücklichen Schicksal der unerwiderten Liebe.
Die erste Strophe führt uns in die Szene ein, die in Augsburg stattfindet, unweit des Doms. Das fromme Mädchen verlässt ihr Haus und begibt sich in den Dom, wo sie betet und die Weltlust hinter sich lässt. Hier wird bereits ein tiefer Kontrast aufgebaut zwischen der weltlichen Welt, in der Liebe und Freude existieren, und der spirituellen Welt, die das Mädchen anstrebt. Das Gebet vor Marias Bild verdeutlicht ihre tiefe Frömmigkeit und den Wunsch nach einem Leben in Reinheit.
Die zweite und dritte Strophe beschreiben die Reaktion des Mädchens auf das Geläut der Glocken und ihre Verwandlung, wobei sie einen Lilienkranz im Haar trägt, ein Symbol der Reinheit und der Abkehr von weltlichen Freuden. Das Staunen der Leute über das Mädchen und der Kranz verdeutlicht die besondere Qualität dieses Moments. Das Mädchen scheint in eine andere Sphäre überzutreten, in der irdische Freuden keinen Platz mehr haben. Diese Transformation kulminiert im Gelübde, das in der letzten Strophe gesprochen wird.
Die letzte Strophe offenbart die Tragödie des männlichen Sprechers. Er beobachtet das Mädchen, das er liebt, und muss mit ansehen, wie sie sich für ein Leben der Entsagung entscheidet. Seine Reaktion ist von tiefem Schmerz und Verzweiflung geprägt. Er fleht Gott an, dass das Mädchen ihren Kranz friedlich tragen möge, während er sich selbst seinem Schicksal ergibt. Die letzten Zeilen des Gedichts – „Stirb, Lieb‘ und Licht!“ – sind ein Ausdruck der Hoffnungslosigkeit und des Verlustes. Die Liebe und das Licht, die er in dem Mädchen sah, müssen für ihn sterben, da sie nun dem Klosterleben gehört.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.