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Sexuelle Aufklärung

Von

Tritt ein, mein Sohn, in dieses Varieté!
Die heiligen Hallen füllt ein lieblich Odium
von Rauchtabak, Parfums und Eßbüffé.
Die blonde Emmy tänzelt auf das Podium,
der erste und der einzige Geiger schmiert ›Kollodium‹
auf seine Fiedel für das hohe C …
So blieb es, und so ists seit dreißig Jahren –
drum ist dein alter Vater mit dir hergefahren.

Sieh jenes Mädchen! Erster Jugendblüte
leichtrosa Schimmer ziert das reizende Gesicht.
So war sie schon, als ich mich noch um sie bemühte,
und wahrlich: ich blamiert mich nicht!
Siehst du sie jetzt, wie sie voll Scham erglühte?
Was flüstert sie? »Det die de Motten kricht … !«
Wie klingt mir dieser Wahlspruch doch vertraut
aus jener Zeit, da ich den Referendar gebaut!

Sei mir gegrüßt, du meine Tugendlilie,
du altes Flitterkleid, du Tamburin!
Nimm du sie hin, mein Sohn – es bleibt in der
Familie – und lern bei ihr: es gibt nur ein Berlin!
Nun aber spitz die Ohren, denn gleich singt Ottilie
ihr Lieblingslied vom kleinen Zeppeliihn …
Kriegst du sie nicht, soll dich der Teufel holen!
Verhalt dich brav – und damit Gott befohlen!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sexuelle Aufklärung von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sexuelle Aufklärung“ von Kurt Tucholsky ist eine satirische Abrechnung mit der Doppelmoral und der verlogenen Sexualmoral der wilhelminischen Zeit. Der Autor nutzt das Bild eines Vaters, der seinen Sohn in ein Varieté einführt, um ihm die „Geheimnisse“ der Sexualität zu erklären. Dabei wird die Scheinheiligkeit der Gesellschaft und die Tatsache, dass Sexualität oft auf käufliche Liebe reduziert wurde, kritisiert.

Der erste Teil des Gedichts beschreibt die Atmosphäre des Varietés, ein Ort des Vergnügens und der Ablenkung, der von Rauch, Parfum und Essen geprägt ist. Die Anwesenheit der „blonden Emmy“ und des „Geigers“ deutet auf eine gewisse Künstlichkeit und Künstlichkeit hin, die die künstliche Natur der sexuellen Beziehungen widerspiegelt, die in diesem Milieu gepflegt wurden. Der Vater scheint in diesem Umfeld nostalgisch zurückzublicken, was an seine eigenen Erfahrungen erinnert, als er seinen Sohn in diese Welt einweiht.

Der zweite Teil des Gedichts wendet sich einem jungen Mädchen zu, das in der Vergangenheit eine Figur der Begierde für den Vater war. Nun, Jahre später, sieht der Vater, wie die „Scham“ des Mädchens, der er einst nachjagte, durch „Motten“ ersetzt wurde. Diese zynische Bemerkung unterstreicht die Enttäuschung und den Verfall, der mit dem Vergehen der Zeit einhergeht, und stellt die Bedeutung von Liebe und Anziehungskraft in Frage. Die Verwendung von umgangssprachlichen Wendungen wie „Det die de Motten kricht … !“ unterstreicht die vulgäre, alltägliche Sichtweise auf Sexualität.

Das Gedicht endet mit einem Appell des Vaters an seinen Sohn, der von Resignation geprägt ist. Er gibt dem Sohn die „Tugendlilie“ oder das „alte Flitterkleid“ mit auf den Weg, und ermahnt ihn, die Konventionen zu respektieren. Die abschließenden Verse, die das Kind ermahnen, die Varietés zu besuchen, machen die Doppelmoral deutlich, die die bürgerliche Gesellschaft prägte, und zeigen, dass Sexualität und Liebe oft durch Scheinheiligkeit ersetzt wurden, die eine gewisse Ironie erzeugte. Die Verwendung von Humor und Satire durch Tucholsky dient dazu, die gesellschaftlichen Widersprüche aufzudecken und gleichzeitig die Absurdität der Situation aufzuzeigen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.