Säcksche Festspiele
In jeder Stadt streicht ein Nabolium sich die schwarze Locke
aus seiner Stirn –
jedweder Bürger prangt in prallem Waffenrocke
und einem blanken Pappmaché-Theaterhirn.
Zweihundert Pferde machen Staub und andre Sachen –
ein Böller kracht …
Handlungsgehilfen, Handwerksmeister wachen
lang hingestreckt, auf Posten, in der Sommernacht.
Ein Orden winkt; laut klopfen aller Herzen –
bengalisch Feuer flammt …
Ein Sängerchor greift tief erregt in falsche Terzen,
Nabolium schwitzt, und Yorckn rutscht die Hose – au verdammt!
Die Brücke fliegt! Gehulter und Gepulter …
Ein lebend Bild – wer hätte das gedacht!
Und nachher kloppt der Zar dem Friedrich Wilhelm auf die Schulter:
»Das hammer ganz fermost gemacht!«
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Säcksche Festspiele“ von Kurt Tucholsky ist eine bissige Satire auf die pompösen, aber letztlich inhaltsleeren patriotischen Feierlichkeiten im Deutschland der Weimarer Republik. Es prangert die Selbstgefälligkeit und den Militarismus an, die unter der Oberfläche des glitzernden Spektakels existieren. Der Titel selbst, der sich auf das „Säcksche“ (Sächsische) bezieht, lässt vermuten, dass die satirische Kritik regional spezifisch ist, sich aber auf ein allgemeineres Phänomen der bürgerlichen Selbstdarstellung bezieht.
Tucholsky beginnt mit dem Bild eines „Naboliums“, einer Karikatur Napoleons, der sich die „schwarze Locke“ aus der Stirn streicht – eine Geste, die sowohl theatralisch als auch lächerlich wirkt. Die „Bürger“ erscheinen in „prallem Waffenrocke“ und mit „blankem Pappmaché-Theaterhirn“, was ihre beschränkte Denkweise und die künstliche Inszenierung der Feierlichkeit unterstreicht. Die „Zweihundert Pferde“, der „Staub“ und der „Böller“ sind typische Elemente des Militärspektakels, das in der sommerlichen Nacht stattfindet und von gelangweilten „Handlungsgehilfen, Handwerksmeistern“ bewacht wird.
Der zweite Teil des Gedichts beschreibt das „bengalische Feuer“, den „Sängerchor“ mit seinen „falschen Terzen“ und „Nabolium“ der schwitzt. Der Vers „Yorckn rutscht die Hose – au verdammt!“ bricht die pompöse Inszenierung durch einen unerwarteten, fast vulgären Moment der menschlichen Unzulänglichkeit. Das „lebende Bild“ und die Reaktion der „Zar“ und „Friedrich Wilhelm“ in der letzten Strophe, die sich gegenseitig für die „fermost gemacht“ Darbietung loben, unterstreichen die Eitelkeit und Künstlichkeit des Ereignisses.
Tucholsky verwendet eine Kombination aus Ironie, Übertreibung und derbe Sprache, um die Lächerlichkeit des Festes zu enthüllen. Die scheinbar ernsthafte Inszenierung wird durch die skurrilen Details und den Kontrast zwischen dem militärischen Pomp und der menschlichen Unvollkommenheit konterkariert. Das Gedicht ist eine scharfe Kritik an der leeren Glorifizierung von Macht und Patriotismus, die Tucholsky in der Weimarer Republik so oft anprangerte. Es ist ein Appell an die Leser, die Fassade zu durchschauen und die dahinterliegenden Werte und Motivationen kritisch zu hinterfragen.
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Lizenz und Verwendung
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