Resurrectio
Flut, die in Nebeln steigt. Flut, die versinkt.
O Glück: das große Wasser, das mein Leben überschwemmte, sinkt, ertrinkt.
Schon wollen Hügel vor. Schon bricht gesänftigt aus geklärten Strudeln Fels und Land.
Bald wehen Birkenwimpel über windgesträhltem Strand.
O langes Dunkel. Stumme Fahrten zwischen Wolke, Nacht und Meer.
Nun wird die Erde neu. Nun gibt der Himmel aller Formen zarten Umriß her.
Herzlicht von Sonne, das sich noch auf gelben Wellen bäumt –
Bald kommt die Stunde, wo dein Gold in grünen Frühlingsmulden schäumt –
Schon tanzt im Feuerbogen, den der Morgen übern Himmel schlägt,
Die Taube, die im Mund das Ölblatt der Verheißung trägt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Resurrectio“ von Ernst Stadler beschreibt einen Prozess der Erneuerung und Wiedergeburt, der sich in einer Naturmetapher ausdrückt. Das Gedicht beginnt mit dem Bild einer Flut, die aufsteigt und wieder versinkt, wodurch ein Gefühl der Bedrohung und des Untergangs erzeugt wird. Dieses Chaos und Dunkelheit scheinen jedoch nur eine Phase zu sein, denn schon im zweiten Vers wird ein Wendepunkt angedeutet: Das Wasser, das das Leben des lyrischen Ichs überschwemmte, beginnt zu sinken, was eine Erleichterung und einen Hoffnungsschimmer impliziert.
Die folgenden Verse beschreiben, wie sich das Chaos auflöst und die Natur wieder zum Leben erwacht. Fels und Land werden aus den klaren Strudeln freigegeben, Birkenwimpel wehen am Strand, und die Erde wird neu. Dieser Prozess der Reinigung und Erneuerung wird durch die Verwendung von Naturbildern wie „Hügel“, „Strand“ und „Birkenwimpel“ veranschaulicht. Die Bilder der Natur symbolisieren die zyklische Natur des Lebens und die Möglichkeit der Erneuerung nach einer dunklen Zeit. Das „lange Dunkel“ und die „stummen Fahrten“ zwischen Wolke, Nacht und Meer stehen für die Phase der Unsicherheit und des Leids.
Die zweite Hälfte des Gedichts betont die Schönheit und das Versprechen des neuen Lebens. Das „Herzlicht von Sonne“ wird als Hoffnungsträger in der Wiedergeburt hervorgehoben, und das Gold der Sonne soll in den „grünen Frühlingsmulden“ schäumen. Dies deutet auf die Fruchtbarkeit und das Wachstum hin, die nach der dunklen Zeit folgen. Der Höhepunkt des Gedichts ist die Erscheinung der Taube, die im „Feuerbogen“ des Morgens das „Ölblatt der Verheißung“ trägt. Die Taube ist ein starkes Symbol für Frieden, Hoffnung und göttliche Verheißung, das auf eine glückliche Zukunft hindeutet.
Stadlers Gedicht verwendet einfache, aber kraftvolle Bilder, um einen universellen Prozess der Erneuerung und Hoffnung darzustellen. Die Natur wird als Spiegelbild des menschlichen Lebens eingesetzt, das sowohl von Leid und Dunkelheit als auch von Erneuerung und Hoffnung geprägt ist. Durch die Metaphern der Flut, des sinkenden Wassers, des neuen Landes und der Taube wird die Botschaft der Wiedergeburt und des Trostes auf poetische Weise vermittelt. Das Gedicht ist eine Feier des Lebens und der Hoffnung, die auch nach den dunkelsten Zeiten möglich ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.