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Neujahrswunsch

Von

Schau hinab, o Gott, auf deine Erde,
Sieh der Menschen ängstliches Gewühl.
Ach, da gibt′s, du weißt′s ja, viel Beschwerde,
Und des Stoffs zu Thränen gibt es viel.

Christen gibt es – die sich scheun zu sagen
Daß sie Christus, daß sie Gottes sind;
Weise gibt es, die die Thoren tragen,
Und mit ihren Seufzern spielt der Wind.

Tugendhafte – die den Strom der Laster
Fürchterlich vorüberziehen sehn
Auf dem Strome segelt ein verhaßter
Wütherich, taub zu der Menschheit Flehn.

Greise – die mit dünnen weißen Haaren,
Mit des Fluches schrecklichem Gewicht
Ach hinunter in die Grube fahren,
Denn ihr Enkel ist ein Bösewicht!

Unschuld – die am Todeshügel jammert,
Wo der Vater, wo die Mütter ruht;
Wie sie da das Todtenkreuz umklammert,
Wie sie ächzt: »Ach rettet euer Blut!«

Denn sie scheucht der Lüstling, der zum Raube
Im Gebeinhaus tückisch sich verbirgt:
Wie der Geier, der die fromme Taube
Selbst auf Tempelzinnen niederwürgt.

Patrioten – die am Eichenstamme
Mit gesenktem trübem Blicke stehn:
Ach sie sehn mit unterdrückter Flamme
Deutsche Sitt′ und Freiheit untergehn.

Jünglinge – beim dumpfen Traurgeläute
Langsam schreitend zu der schwarzen Gruft,
Um die schönste, edelste der Bräute
Jammert ihre Klage in die Luft.

Vater! alle diese Menschen unten
Müssen sterben – deine Engel nicht!
Sterben – ach mit heißen offnen Wunden,
Zittern vor Verwesung und Gericht.

Schöpfer! Vater, ach erbarm dich ihrer,
Sieh dies Wimmeln deiner Kinder an;
Alle brauchen Hülfe; sey ihr Führer
Auf des Lebens dornenvoller Bahn.

Sieh, auf dieses Thurmes luft′gen Höhen
Bitt′ ich dich mit hoch gehobner Hand:
Wie die Eiche tiefgewurzelt stehen
Laß mein Vaterland, mein Vaterland!

Unsern Kaiser, laß die Fürsten leben
Dir nachahmend – ohne blut′gen Zwist;
Aber laß sie vor dem Donner beben:
Daß du Richter aller Fürsten bist.

Reiß dem Heuchler in der Wahrheit Lichte
Seine schwarze Larve vom Gesicht.
Aber ist die Larve vom Gesichte,
So beschäme – nur verdamm ihn nicht.

Wenn der Wald, wenn Felsen wiederschallen,
Frevler, deinen Greul und deinen Spott;
O so tönen dieses Tempels Hallen:
»Eine feste Burg ist unser Gott! «

Gib uns Dichter, die von Tugend glühen,
Die, wie Klopstock, von der Ewigkeit
Kühn den Lichtgewebten Vorhang ziehen
Und von Deutscher Biederherzigkeit.

Dient das rasche Feuer kühner Jugend,
Dient die Himmelsflamme – das Genie
Nicht der Wahrheit, nicht der Schönheit, Tugend;
So verlösch′ es! so vertilge sie!

Stärk den Müden, der des Lebens Plagen,
Seine Lasten duldet – friedsam still;
Donner sollen den Tyrannen schlagen,
Der des Schweißes Frucht ihm rauben will!

Gib dem Mangel Speise, Trank und Hülle,
Gib den Armen – ach mir bricht das Herz
Gib dem Armen von des Reichen Fülle,
Lindre du des müden Pilgers Schmerz.

O dann wölbt sich ruhig einst der Hügel
Meines Grabes über mir: o Glück!
Laß ich doch, beweht von Gottes Flügel,
Dich, du liebes Vaterland, zurück.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Neujahrswunsch von Christian Friedrich Daniel Schubart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Neujahrswunsch“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist ein eindringliches Gebet, das zum Jahreswechsel geschrieben wurde und eine tiefe Besorgnis über den Zustand der Welt und eine inständige Bitte um Besserung und Segen zum Ausdruck bringt. Das Gedicht ist in einer Reihe von Strophen aufgebaut, die verschiedene soziale und moralische Missstände ansprechen, gefolgt von Bitten um Hilfe, Führung und Erneuerung. Es ist ein Ausdruck tiefster Menschlichkeit und des Wunsches nach einer gerechteren und tugendhafteren Welt.

Die Struktur des Gedichts folgt einem klaren Muster: Zuerst werden in mehreren Strophen die vielfältigen Leiden und Ungerechtigkeiten der Welt beschrieben. Schubart zeichnet ein düsteres Bild von moralischem Verfall, Unglauben, Ungerechtigkeit und Leid. Er beschreibt das Elend der Menschen, die unter den Folgen von Laster, Tyrannei, Verlust und Armut leiden. Dies wird durch die Verwendung von Bildern wie „Greise“, die „in die Grube fahren“, „Unschuld“, die am „Todeshügel jammert“, und „Patrioten“, die die „Deutsche Sitt‘ und Freiheit untergehn“ sehen, deutlich. Diese detaillierte Darstellung der Missstände dient als Ausgangspunkt für die anschließenden Bitten um Gottes Eingreifen.

In den folgenden Strophen richtet sich das Gedicht an Gott und formuliert eine Reihe von Bitten. Schubart fleht um Hilfe, Führung und Erneuerung für die leidende Menschheit. Er bittet um die Bewahrung des Vaterlandes, die Weisheit der Herrscher, die Enthüllung der Heuchelei, die Inspiration von Dichtern und die Stärkung der Schwachen. Er wünscht sich eine Welt, in der Tugendhaftigkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit herrschen. Die Bitte um „Dichter, die von Tugend glühen“ zeigt Schubarts Glauben an die Kraft der Kunst, Werte zu vermitteln und das Bewusstsein für das Gute zu schärfen. Diese Bitten sind von einer tiefen Sehnsucht nach einer besseren Zukunft geprägt.

Die Verwendung von rhetorischen Fragen, Ausrufen und direkten Appellen an Gott verleiht dem Gedicht eine intensive emotionale Wirkung. Schubart benutzt eine klare und eindringliche Sprache, um seine Botschaft zu vermitteln. Die wiederholte Anrede „Vater!“ und die Verwendung von Ausrufen der Verzweiflung und Hoffnung unterstreichen die Dringlichkeit der Bitten. Der Schlussteil des Gedichts, der das eigene Sterben des Dichters anspricht, zeigt, dass die Hoffnung auf eine bessere Welt letztlich die eigene Existenz transzendiert. Es ist ein Bekenntnis zum Glauben an eine höhere Macht und ein Ausdruck des Vertrauens auf eine bessere Zukunft für das Vaterland.

Zusammenfassend ist „Neujahrswunsch“ ein kraftvolles und bewegendes Gedicht, das die menschliche Erfahrung von Leid, Hoffnung und Sehnsucht nach einer gerechteren Welt widerspiegelt. Schubart verbindet eine detaillierte Beschreibung der Ungerechtigkeiten der Welt mit einer leidenschaftlichen Bitte um Gottes Eingreifen und Segen. Das Gedicht ist ein Zeugnis des Glaubens an die Möglichkeit der Erneuerung und des Wunsches nach einer Gesellschaft, die von Tugend, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit geprägt ist. Es ist ein Aufruf zur Hoffnung, zur Verantwortung und zum Glauben an das Gute im Menschen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.