Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , ,

Neujahrslied (2)

Von

Mit Todesschauer denken wir
Der Jahre schnellen Lauf
Und singen in dem Tempel hier
Ein Lied zu Gott hinauf.

Schnell, wie Gedanken, Schall und Licht,
Flieht hinter uns die Zeit,
Und vor uns drohet ein Gericht
Und eine Ewigkeit.

Und dennoch morden wir die Zeit
Und fürchten nicht den Tod?
Und fürchten nicht die Ewigkeit,
Die unsern Mördern droht?

Wer nicht an Jesum Christurn glaubt,
Und ihn nicht brünstig liebt,
Dem Schöpfer seine Ehre raubt
Und sie Geschöpfen giebt;

Wer wie ein Vieh aus Pfützen säuft,
Im Lasterkothe wühlt;
Wer Sünden wie Gebirge häuft,
Und doch den Berg nicht fühlt;

Und wer mit hündischer Begier
An seinen Gütern zerrt,
Vor einem Lazarus die Thür′
Mit großen Riegeln sperrt;

Wer eine blut′ge Thränenfluth
Aus Wittwenaugen preßt,
Und seinen fetten Wanst vom Blut
Zertretner Waisen mäst′t;

Wer aussen wie ein Schaaf gekleidt,
Von innen wölfisch denkt,
Und wer das Glück der Ewigkeit
Für Erdenglück verschenkt;

Wer Brüdern nach dem Leben greift,
Mit Rache angethan;
Wer nur Beleidigungen häuft
Und nicht verzeihen kann;

Wer gähnend seine Pflicht vergißt
Und Zeitvertreibe sucht,
Und wenn die Zeit verflogen ist,
Auf ihre flucht;

Wer unreif zu der Ewigkeit
Zum Tode sich nicht schickt:
Das ist der Mörder, der die Zeit
Mit eigner Hand erdrückt.

Sind solche Ungeheuer hier:
Herr, so bekehre sie!
Der ganze Tempel seufzt wie wir:
Ach Herr! bekehre sie.

Wie viele singen heute auf,
Noch unbekehrt und blind,
Die nach vollbrachtem Jahreslauf
Schon Staub und Moder sind.

Wie dunkle Schatten fahren sie
Zur Hölle dann hinab;
Zu der Tyrannin, die noch nie
Die Todten wieder gab.

Drum arme Seele denke heut
Mit Ernst an deinen Tod;
Denn jedes unsrer Jahre schreyt:
Gedenk an deinen Tod!

Zu dir – der seyn wird – ist – und war,
Steig unser Lied hinauf:
Ach Gott, nimm doch in diesem Jahr
Die Toten zu dir auf

Und du, Vertreter, rede laut,
Wenn uns der Richter droht;
Wenn Zorn aus seinem Auge schaut
Und aus der Stirne Tod. –

Geist Gottes, zeige deine Macht,
Wenn uns das Auge bricht.
In einer solchen Mitternacht,
Da brauchen wir ja Licht.

Wie kann der frommen Christenschaar
Der Tod nun schrecklich seyn?
Sie weihen ja das neue Jahr
Mit ihren Thränen ein.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Neujahrslied (2) von Christian Friedrich Daniel Schubart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Neujahrslied (2)“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist eine eindringliche Mahnung an die Leser, ihr Leben angesichts der Vergänglichkeit der Zeit und der drohenden Ewigkeit zu überdenken. Es ist ein Appell zur Umkehr und zur Hinwendung zu einem christlichen Leben. Das Gedicht ist in einer sehr direkten und belehrenden Sprache verfasst, die den Leser zur Selbstreflexion anregt und ihn gleichzeitig an die Konsequenzen eines sündhaften Lebens erinnert.

Das Gedicht beginnt mit der Reflexion über den schnellen Lauf der Zeit und die damit verbundene Endlichkeit des irdischen Lebens. Der Autor erinnert an den Tod und die Ewigkeit, die auf jeden Menschen warten. In den folgenden Strophen werden konkrete Beispiele für sündhaftes Verhalten aufgezählt, das zum „Morden“ der Zeit führt und den Einzelnen dem ewigen Verderben aussetzt. Schubart kritisiert unter anderem mangelnden Glauben, Habsucht, Ungerechtigkeit, fehlende Nächstenliebe, Heuchelei, Rachsucht und die Vernachlässigung der Pflichten. Die Aufzählung der Sünden ist detailliert und drastisch, was die Schwere der Botschaft unterstreicht.

Das Gedicht endet mit Gebeten und Bitten an Gott, um die Bekehrung der Sünder und um Erlösung. Der Dichter fleht um Gottes Hilfe, um die Gläubigen zu trösten und zu stärken, besonders im Angesicht des Todes und des Gerichts. Er betont die Notwendigkeit der Buße und die Hoffnung auf ewiges Leben für diejenigen, die sich Gott zuwenden. Die letzten Zeilen des Gedichts sind ein Ausdruck der Hoffnung und des Vertrauens auf Gottes Gnade und die Verheißung des ewigen Lebens für die Gläubigen.

Die Struktur des Gedichts ist klar und folgt einem didaktischen Muster. Es beginnt mit einer allgemeinen Betrachtung der Vergänglichkeit und geht dann zu konkreten Beispielen von sündhaftem Verhalten über, um schließlich in einem Gebet um Erlösung und Bekehrung zu münden. Die Sprache ist ergreifend und verwendet starke Bilder und Metaphern, um die Botschaft zu vermitteln und die Leser emotional zu berühren. Schubart wählt eine Sprache, die an das Predigen erinnert, um seine Zuhörer direkt anzusprechen und zu ermahnen, ihre Leben in Einklang mit dem christlichen Glauben zu bringen.

Insgesamt ist das „Neujahrslied (2)“ ein starkes Beispiel für religiöse Dichtung mit moralischem Anspruch. Es ist ein Zeugnis für Schubarts tiefe Frömmigkeit und sein Anliegen, seine Mitmenschen auf die Bedeutung eines gottgefälligen Lebens aufmerksam zu machen. Das Gedicht ist ein Aufruf zur Selbstreflexion, Buße und Umkehr, um die ewige Seligkeit zu erlangen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.