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Neid

Von

Mein kleinster Fehler ist der Neid. –
Aufrichtigkeit, Bescheidenheit,
Dienstfertigkeit und Frömmigkeit,
Obschon es herrlich schöne Gaben,
Die gönn ich allen, die sie haben.

Nur wenn ich sehe, daß der Schlechte
Das kriegt, was ich gern selber möchte;
Nur wenn ich leider in der Nähe
So viele böse Menschen sehe,
Und wenn ich dann so oft bemerke,
Wie sie durch sittenlose Werke
Den lasterhaften Leib ergötzen,
Das freilich tut mich tief verletzen.

Sonst, wie gesagt, bin ich hienieden
Gottlobunddank so recht zufrieden.

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Gedicht: Neid von Wilhelm Busch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Neid“ von Wilhelm Busch ist eine humorvolle und satirische Auseinandersetzung mit der menschlichen Schwäche des Neides. Es präsentiert den Ich-Erzähler, der zunächst scheinbar Tugenden wie Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Frömmigkeit verherrlicht und diese großzügig allen anderen gönnt, die sie besitzen. Dieser eröffnende Teil erzeugt eine gewisse Erwartung an Selbstlosigkeit und Tugendhaftigkeit, die jedoch im weiteren Verlauf des Gedichts konterkariert wird.

Der Umschwung erfolgt in der zweiten Strophe, wo der wahre Kern der Aussage enthüllt wird. Die scheinbare Großzügigkeit des Erzählers bröckelt, sobald er feststellt, dass „der Schlechte“ Dinge erreicht, die er selbst gern hätte. Der Neid manifestiert sich hier als Reaktion auf Ungerechtigkeit und die Beobachtung, dass Laster und unethisches Verhalten scheinbar belohnt werden. Das Wort „leider“ deutet an, dass die heile Welt des Erzählers Risse bekommt und die Realität von Ungleichheit und Fehlverhalten ihn frustriert. Die Betonung der „sittenlosen Werke“ und der „lasterhaften Leibesergötzung“ verstärkt den Kontrast zwischen dem eigenen moralischen Anspruch und der wahrgenommenen Ungerechtigkeit.

Busch nutzt hier geschickt Ironie, um die Scheinheiligkeit und die Widersprüchlichkeit des menschlichen Charakters aufzuzeigen. Der Erzähler versucht sich im ersten Teil als tugendhaft zu präsentieren, aber die plötzliche Wendung in der zweiten Strophe entlarvt seine wahren Gefühle. Diese Diskrepanz zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was gemeint ist, macht das Gedicht amüsant und regt zum Nachdenken an. Es ist ein Spiegelbild der menschlichen Natur, in dem jeder Leser Teile von sich selbst wiederfinden kann.

Der letzte Vers „Sonst, wie gesagt, bin ich hienieden / Gottlob und dank so recht zufrieden.“ verstärkt die Ironie, indem er die scheinbare Zufriedenheit des Erzählers trotz der vorhergehenden Äußerungen des Neides betont. Diese Zeile dient als Pointe und unterstreicht die satirische Natur des Gedichts. Busch karikiert hier auf humorvolle Weise die menschliche Tendenz, den Neid zu verbergen und sich selbst als moralisch einwandfrei darzustellen, während die Realität oft ganz anders aussieht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.