Meeresstille
Ich seh von des Schiffes Rande
Tief in die Flut hinein:
Gebirge und grüne Lande
Und Trümmer im falben Schein
Und zackige Türme im Grunde,
Wie ich′s oft im Traum mir gedacht,
Wie dämmert alles da unten
Als wie eine prächtige Nacht.
Seekönig auf seiner Warte
Sitzt in der Dämmrung tief,
Als ob er mit langem Barte
Über seiner Harfe schlief;
Da kommen und gehen die Schiffe
Darüber, er merkt es kaum,
Von seinem Korallenriffe
grüßt er sie wie im Traum.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Meeresstille“ von Joseph von Eichendorff beschreibt eine Szene der tiefen Ruhe und Stille unter Wasser, die durch die Augen eines Schiffreisenden wahrgenommen wird. Das lyrische Ich blickt vom Schiffsrand in die Tiefe des Meeres und erblickt eine versunkene Welt, die von einer traumhaften Schönheit und geheimnisvoller Atmosphäre geprägt ist. Die Beschreibung von „Gebirge und grüne Lande“, „Trümmern im falben Schein“ und „zackigen Türmen“ erweckt das Bild einer versunkenen Stadt oder einer verlorenen Zivilisation, die sich in der Tiefe des Meeres verbirgt.
Die zentrale Figur des Seekönigs, der „auf seiner Warte / Sitzt in der Dämmrung tief“, verstärkt die surreale und traumhafte Qualität des Gedichts. Er wird als eine Art schlafender Wächter dargestellt, der über seiner Harfe zu ruhen scheint. Die Schiffe, die über ihn hinwegfahren, werden von ihm kaum bemerkt, was die Isolation und das Geheimnis der Unterwasserwelt unterstreicht. Die Vorstellung, dass der Seekönig die Schiffe von seinem Korallenriff aus wie im Traum grüßt, verleiht der Szene eine märchenhafte und fast magische Note.
Das Gedicht bedient sich einer einfachen, klaren Sprache, die dennoch reich an Bildern und Emotionen ist. Die Verwendung von Adjektiven wie „grüne“, „falben“ und „zackige“ erzeugt lebendige visuelle Eindrücke und verstärkt die Vorstellungskraft des Lesers. Der Reim, der regelmäßig eingesetzt wird, trägt zur musikalischen Qualität des Gedichts bei und unterstützt die träumerische Atmosphäre. Die Gegenüberstellung von der ruhigen Oberfläche und der geheimnisvollen Tiefe, die durch das lyrische Ich verbunden wird, erzeugt eine Spannung, die das Gedicht durchzieht.
Die „Meeresstille“ kann als Metapher für die innere Welt des Menschen interpretiert werden, in der verborgene Erinnerungen, Träume und Sehnsüchte ruhen. Die versunkene Stadt repräsentiert möglicherweise das Unbewusste oder die Vergangenheit, während der Seekönig für eine innere Weisheit oder einen Hüter der Tiefen steht. Das Gedicht lädt dazu ein, über die scheinbare Ruhe der Oberfläche hinaus in die Tiefen der eigenen Seele zu blicken, wo verborgene Welten und Erfahrungen darauf warten, entdeckt zu werden. Die „prächtige Nacht“ der Tiefe wird so zu einem Ort der Kontemplation und des Staunens.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.