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Kalifornien

Von

Auf sein Lager wirft sich lachend der Gnom:
»Sakrament, ja, der Sakramentostrom!
Ha ha ha, und die Menschheit, die gecke!
Kaum, daß ihrer einer den Bettel entdeckt,
Als gleich Tausende rufen: Hui, das schmeckt!
Und aber Tausende: Fort, daß es kleckt!
Und nun stehn sie alle, vergnügt und bedreckt,
Und wühlen im Dreck nach dem Drecke!

»Und alle Tag´ neue! Ja, das ist ein Sporn!
Über Panama, übers Gebirg, um Kap Horn –
Sie kommen von hinten, sie kommen von vorn,
Sie kommen und wollen waschen!
Ich höre sie rutschen, ich höre sie zieh´n –
Gold, Gold, Gold! – Auf Händen und Knien!
Ja, auf allen Vieren! – Und wär´ es bespien,
Sie steckten es froh in die Taschen!

»Staub und Körner, und Körner und Staub!
Der Urwald schüttelt sein ewiges Laub,
Die Sonne blitzt – sie sind blind und taub,
Ihr einzig Sinnen der blitzende Raub –
So seh´ ich sie schürfen und scharren!
Die Mär El Dorados hat sich erneut:
Wie zu jenen Tagen, so ist es heut,
Wo mit lauterem Gold ihren Weg ich bestreut
Den Cortez und den Pizarren.

»O, wie süß das ist, o wie wohl das tut!
O, du gold´ner Regen, du gold´ne Flut!
Und klebt auch an manchem Korne schon Blut,
Es wird euch die Brust nicht verengern!
Nur zu, nur zu! So war es von je –
Nicht, o Menschheit, verwitterte Danae,
So lässest du gerne dich schwängern?

»Halt auf deinen Schoß! laß ein den Zeus!
Empfange, mein Schätzchen, und nicht bereu´s!
Auch der Erdgeist ist Gott und ist Schöpfer!
Wer weiß, was die selt´ne Umarmung uns bringt?
Ob ihr nicht ein neuer Perseus entspringt,
Der mit markigem Schwunge das Richtschwert schwingt,
Ein jüngster Medusenköpfer?

»Ein Heros, dröhnend von Gang und schwer,
Der von all´ deinen Ufern, o stilles Meer,
Der von all´ deinen Palmeninseln her
Um die Erde schreitet in flammender Wehr,
Der gewaltigste Sproß meiner Lenden?
Der, wo immer dräut ein umschlängelt Haupt,
Ob es Fesseln blickt, ob es Hunger schnaubt,
Die versteinernde, tötende Kraft ihm raubt,
Und die Zeiten sich lässet vollenden?

»Der da spricht: du wallende Südseeflut,
Schon zu lange hast du tatlos geruht –
An dein Werk jetzt! ich hab´ dich mit fröhlichem Mut
Der Geschichte, der Bildung entriegelt!
An dein Werk jetzt! du Becken schimmernd und rein
Sollst in meinen Händen der Spiegel sein,
Drin die Gorgo des Alten im Widerschein
Zur Enthauptung blöde sich spiegelt!

»Ja, so wird es geschehn! O, du künftiger Held,
O du neu anbrechender Tag der Welt,
Schon seh´ ich empor dich steigen!
Aus der Felsenberge nacktem Gestein,
Auf die harrenden Meere brichst du herein,
Dem Chinesen schon dämmerst du und dem Malai´n,
Bis zum Indus schlingt sich der Völkerreih´n –
Ja, ich werd´, ich werde dich zeugen!

»Ich werd´ es! – denn nicht an das Eskurial
Werf´ ich heut mich weg und den toten Ural:
Das Despotentum ist ein faul Gemahl –
Es empfängt, doch nicht mag es gebären!
O, wie anders ein Schoß, der voll Lebens quillt,
Der, befruchtet, von neuen Gestaltungen schwillt:
In ein jugendlich Volk heut´ ergieß ich mich wild –
Und es wird meiner Glut sich bewähren!

»Drum, du närrische Menschheit, drum scharre nur zu!
Ich dein Zeus, meine Danae du!
Komm, den Perseus gezeugt ohne Rast, ohne Ruh´,
Meine Lüsterne, meine Kleine!
Zwar – du wirkst dir die Zukunft nur halb bewußt,
Du denkst nur der augenblicklichen Lust –
Doch du schaffst eben doch, was du schaffen mußt!
Da, mein Liebchen, wiederum Steine!«

Und er bricht sie aus seinem blitzenden Dom,
Und er wirft sie empor, der mächtige Gnom;
Tief, tief unter´m Sakramentostrom,
Da macht er Geschichte, der Hehre!
Nicht lang´ wird es währen, dann ruft er: Ha!
Denn die Wurzeln der Berge fern und nah,
Sie erbeben, sie zucken: – durch Panama
Ineinander donnern zwei Meere!

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Gedicht: Kalifornien von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kalifornien“ von Ferdinand Freiligrath ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem Goldrausch im 19. Jahrhundert und der damit verbundenen menschlichen Gier und Entmenschlichung. Es ist aus der Perspektive eines Gnoms geschrieben, einer mythologischen Kreatur, die das Gold kontrolliert und die menschliche Gier mit spöttischem Vergnügen beobachtet. Der Gnom fungiert hier als eine Art Erzähler und Manipulator, der die Ereignisse kommentiert und die Menschen in ihren Begierden bestärkt.

In den ersten Strophen beschreibt der Gnom die Massen, die nach Kalifornien strömen, um Gold zu finden. Er verspottet sie für ihre blinde Gier und ihren Wunsch nach Reichtum, der sie dazu bringt, jedes Hindernis zu überwinden und sich im Dreck zu wühlen. Die Menschen werden als kurzsichtig dargestellt, unfähig, über den unmittelbaren Wunsch nach Gold hinauszusehen. Der Gnom vergleicht sie mit den Eroberern der Vergangenheit, wie Cortez und Pizarro, die ebenfalls durch Gier getrieben wurden und ganze Völker unterjochten.

Die mittleren Strophen des Gedichts nehmen eine Wendung hin zu einer mythischen Analogie. Der Gnom sieht sich als Zeus, der sich in Danae, die Menschheit, ergießt, um einen neuen Helden, einen Perseus, zu zeugen. Dieser Held soll die Welt verändern, die ungerechten Strukturen der alten Welt zerstören und eine neue Ära einleiten. Der Gnom sieht sich als Schöpfer dieser neuen Ordnung, die aus dem Goldrausch hervorgehen soll.

Die letzten Strophen kehren zum Spott zurück, wobei der Gnom die Narren der Menschheit weiterhin ermutigt, ihren Goldrausch fortzusetzen. Er erkennt, dass die Menschen, getrieben von ihrem kurzsichtigen Verlangen, unfreiwillig zur Erschaffung der Zukunft beitragen. Das Gedicht endet mit einer Andeutung kommender dramatischer Veränderungen, als der Gnom ankündigt, dass die Meere durch Panama zusammenstoßen werden, was symbolisch für eine weltweite Veränderung steht, die durch den Goldrausch ausgelöst wurde. Freiligraths Werk ist also eine tiefgründige Kritik an der Gier und ihren Folgen sowie eine düstere Voraussage zukünftiger Umwälzungen, die durch den Kapitalismus und die globale Expansion vorangetrieben werden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.