Jüngst sah ich den Wind
Jüngst sah ich den Wind,
das himmlische Kind,
als ich träumend im Walde gelegen,
und hinter ihm schritt
mit trippelndem Tritt
sein Bruder, der Sommerregen.
In den Wipfeln da ging′s
nach rechts und nach links,
als wiegte der Wind sich im Bettchen;
und sein Brüderchen sang:
»Die Binke, die Bank,«
und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen.
Weiß selbst nicht, wie′s kam,
gar zu wundersam
es regnete, tropfte und rauschte,
daß ich selber ein Kind,
wie Regen und Wind,
das Spielen der beiden belauschte.
Dann wurde es Nacht,
und eh ich′s gedacht,
waren fort, die das Märchen mir schufen.
Ihr Mütterlein
hatte sie fein
hinauf in den Himmel gerufen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Jüngst sah ich den Wind“ von Arno Holz beschreibt eine idyllische Szene, in der der Dichter in einem Traum die Begegnung mit dem Wind und dem Regen erlebt. Das Gedicht ist in drei Strophen unterteilt, die jeweils eine eigene Szene und Stimmung einfangen, bevor es im letzten Teil eine Wendung nimmt.
In den ersten beiden Strophen werden der Wind und der Regen personifiziert und als Brüderpaar dargestellt. Der Wind wird als „himmlisches Kind“ beschrieben, das durch den Wald zieht und die Blätter wiegt, während der Regen mit „trippelndem Tritt“ folgt und durch das Rascheln der Blätter als „Binke, die Bank“ gesungen wird. Diese kindliche Darstellung und die spielerische Sprache, wie die Verwendung von Verkleinerungsformen („Brüderchen“, „Bettchen“) und Lautmalerei („Sum-sum-sum“), erzeugen eine Atmosphäre der Leichtigkeit und des spielerischen Vergnügens. Das Gedicht erzeugt eine kindliche Vorstellung von Naturphänomenen, die mit spielerischer Fantasie belegt sind.
Die dritte Strophe beschreibt den Wechsel von Spiel zu Staunen, als der Dichter sich als „Kind“ fühlt, das dem Spiel von Wind und Regen lauscht. Das Wort „wundersam“ unterstreicht die magische und träumerische Qualität des Erlebnisses. Der Regen wird als ein Teil des Geschehens betrachtet und das Kind wird selber zum Teilnehmer dieses Naturereignisses. Der Dichter scheint in dieser kindlichen Welt aufgegangen zu sein.
In der letzten Strophe erfolgt ein abrupter Übergang zur Nacht und zum Abschied. Die Brüder Wind und Regen verschwinden plötzlich, zurückgerufen von ihrer „Mütterlein“ in den Himmel. Dieser Abschied markiert das Ende des traumhaften Erlebnisses und lässt eine melancholische Note zurück. Die Auflösung des Traums und die Rückkehr zur Realität betonen die Vergänglichkeit der kindlichen Welt und die Sehnsucht nach der Unbeschwertheit des Spiels.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.